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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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aber es war immerhin eine. Jetzt bedeutete sie nichts mehr, für niemanden. Nur weil sie Brüste hatte. Sie versuchte, sie klein zu halten, indem sie noch weniger aß als bisher. Nacht für Nacht wickelte sie eine elastische Binde um ihren Brustkorb, die sie so hart anzog, dass sie kaum atmen konnte. Ein Trick, den alle Ballettschülerinnen kannten. Er wirkte aber nicht immer. Manche Brüste setzten sich durch, wie die von Nevada.
    «Geh weg!», heulte Nevada. «Lass mich in Frieden!» Doch Beni ließ sich nicht vertreiben. Durch ihre Tränen hindurch verschmolz sein Gesicht mit ihrem, bis seine Mutter aus dem Spiegel schaute, Nevadas Großmutter.
    Man hatte sie nicht Großmutter nennen dürfen. Anna Montenero stammte aus einer reichen Familie. Nach ihrer Scheidung hatte sie ihren Mädchennamen wieder angenommen und war nach Monaco gezogen. Wegen der Steuern. Als Kind hatte Nevada immer an ein Steuerrad gedacht, wenn sie das hörte, und sich ihre Großmutter vorgestellt, wie sie durch ein fremdes Land kurvte, mit diesem speziellen Steuerrad in der Hand. Ihr Vater hatte immer zu Nevada gesagt, sie schlage seiner Mutter nach, schon bevor sie Brüste bekommen hatte. Es hatte nie wie ein Kompliment geklungen. Dabei war Anna eine schöne Frau gewesen. Mit ihrem kantigen Gesicht, der geschwungenen Nase und den langen schwarzen Locken sah sie exotisch aus, wie eine Märchenkönigin. Sie kam nur selten in die Schweiz, und bei jedem ihrer Besuche gab es Streit. Martha war immer schon Tage im Voraus nervös, putzte die Wohnung, plante die Mahlzeiten. Doch sie konnte es Anna nicht recht machen. Nichts war gut genug für ihren Sohn, schon gar nicht diese knochige blonde Frau, die nicht einmal anständig kochen konnte. Anna verzog das Gesicht wie ein gelangweiltes Kind, sie schob den Teller von sich und lud die ganze Familie ins Restaurant ein. Dort kommandierte sie die Kellner herum und machte sich über Marthas Kleidung lustig. Immer wieder zog sie die Kinder an sich. Anna Montenero trug tief ausgeschnittene, kurze Kleider aus auffallenden bunten Stoffen, sie zeigte bis ins hohe Alter ihre braungebrannten dünnen Beine. Sie hatte einen weich wogenden Busen, der nach teurem Parfüm roch und in dem die Kinder beinahe erstickten, wenn sie sie an sich zog. «Donne-moi la bise» , rief sie immer schon von weitem. «Nun komm schon, gib mir einen Kuss, zier dich nicht so!»
    Plötzlich erinnerte sich Nevada, wie Annas Hand immer auf Benis Bein geruht hatte während dieser Essen, wie sie über sein Hosenbein fuhr, hinauf und hinab. Wie sie ihm ins Ohr flüsterte und ihn dann ins Ohrläppchen biss. «Mein Kleiner», nannte sie ihn. «Mein Benjamin.» Sie hatte ihren Sohn in ihrem uferlosen Busen erstickt.
    Nevada warf ihre Haarbürste gegen den Spiegel. Doch ihre Kraft reichte nicht aus. Klirrend landete die Bürste im Waschbecken. Nevada sank auf den Badezimmerboden und blieb dort liegen, bis ihre Schwester sie fand.
    Sierra sagte nichts. Sie ging in die Knie, schob ihre Arme unter Nevadas Körper, kippte sie mit einer Drehung näher zu sich hin und stand dann in einer einzigen, mühelosen Bewegung auf und hob Nevada hoch. Als wiege sie nichts. Nevada spürte die Muskeln ihrer Schwester, ihren harten Körper. Sie wimmerte. Die Berührung hatte die Ameisen geweckt.
    Vorsichtig legte Sierra sie auf das ungemachte Bett. Erst dann fragte sie, was eigentlich los sei. Sie zuckte nicht zusammen, als Nevada sagte, sie hätte Beni im Spiegel gesehen. Sie nickte nur und trat dann auf den Gartensitzplatz hinaus, um ungestört telefonieren zu können.
    «Doppelte Sicht», sagte sie, als sie wieder hereinkam. Nevada erinnerte sich plötzlich. Professor Kaiser hatte sie auf dieses Symptom vorbereitet. Beni Marthaler war nicht von den Toten auferstanden, um sie aus ihrem Badezimmerspiegel heraus zu bestrafen oder sich gar bei ihr zu entschuldigen. Sie hatte einen Schub.
    Und ihr Schub fiel auf die heißesten Tage des Jahres. Vielleicht war er auch von der Hitze ausgelöst worden. «Dann wäre es ein Pseudoschub», sagte Sierra. «Fühlt sich leider genauso beschissen an, aber dafür wäre die Verschlechterung deines Zustands dann eine vorübergehende. Wir werden ja sehen. Alphonse kommt auf jeden Fall vor dem Abendessen noch vorbei.»
    Alphonse?, dachte Nevada. Professor Kaiser? Warum nannte ihre Schwester ihren Neurologen beim Vornamen? Und seit wann machte er Hausbesuche? Doch darüber konnte sie nicht länger nachdenken. Die Ameisen waren jetzt so

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