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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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dichtbefahrene, vierspurige Straße zu ihm hinüber. Sie winkte heftig, komm zu mir! Komm über die Straße. Doch er hörte sie nicht. Nach einer Weile drehte sie sich um und ging zum Krankenhaus zurück, um ihre Schicht zu beenden. Wie es sich gehörte. Seither wohnte Ted in ihrer Brust. Auch wenn er sich nicht bei ihr meldete. Macht nichts, dachte Marie. Ich weiß es. Das ist genug.
    Sie hatte ihn dreimal angerufen, um ihn zu einer Yogastunde einzuladen, zum Tee. Er hatte nicht geantwortet. Später hatte sie ihm noch einen Artikel weitergeleitet, in dem die erfolglos verlaufene Suche nach qualifizierten Primarschullehrern in dieser Siedlung beschrieben wurde. Dann nichts mehr.
    Asmita , dachte sie, Ego. Falsche Identifikation mit dem Selbst. Oder Identifikation mit dem falschen Selbst? Wer bin ich?, fragte sich Marie nicht zum ersten Mal.
    Ich bin die dicke Marie, die allein bleiben wird. Ich bin Ärztin. Yogaschülerin. Nicht Mutter von Stefanie, aber doch.
    Stefanie. «Wo ist eigentlich Stefanie?», rief sie in den Flur hinaus und bekam ein Knurren zur Antwort.
    «Ich glaube, sie ist draußen mit irgendwelchen Jungs am Schwatzen», sagte Martin.
    «Pass bloß auf das Mädchen auf! Da hast du dir auch was eingebrockt!»
    Marie seufzte. Sie wollte etwas sagen, als Georg sie unterbrach: «Kriegen wir jetzt wenigstens einen Kaffee?» Marie schaltete die neue Kaffeemaschine ein. Das Licht blinkte.
    «Operation gelungen, Patient gestorben», witzelte Georg bestimmt zum zwanzigsten Mal an diesem Tag. Maries Lächeln saß fest an seinem Platz. Sie wickelte zwei Stühle aus der Schutzfolie und schob sie an die Küchentheke. Sie suchte die Schachtel, auf der «Kaffeetassen» stand, öffnete sie, packte zwei Tassen aus und stellte sie neben die Kaffeemaschine. Die beiden Männer schauten ihr erwartungsvoll zu. Marie seufzte wieder.
    «Einfach auf den Knopf drücken», sagte sie.
    «Und Milch?»
    «Im Kühlschrank!» Marie steckte ihre Zigaretten ein und verließ die Wohnung, bevor Georg eine Bemerkung über emanzipierte Frauen machen konnte. Vor dem Lift zögerte sie. Wenn sie die vierzehn Stockwerke konsequent zu Fuß gehen würde, überlegte sie, wäre das ein hervorragendes Herz-Kreislauftraining. Andererseits, wozu gab es die Medizin? Sie drückte auf den Knopf und fuhr nach unten.
    Stefanie stand am Rand des Spielplatzes in einer Traube junger Leute. Einige von ihnen rauchten. Marie steckte ihre Zigaretten wieder weg. Sie betrachtete die Schuhe der jungen Männer, die von einem beinahe unnatürlich weißen Weiß waren. Vermutlich leuchteten sie im Dunkeln.
    «Stefanie!»
    Betont langsam schaute Stefanie über die Schulter zu Marie. Sie verdrehte die Augen und wandte sich dann wieder den Jugendlichen zu. Einer der jungen Männer sprang von der Lehne der Bank, auf der er gesessen hatte, rückte seine Hose zurecht und machte ein paar wiegende Schritte auf Marie zu. Im Gehen hielt er mit einer Hand seine Hose davon ab, von seinen Hüften zu rutschen.
    «Guten Tag», sagte Marie und streckte ihre Hand aus. «Ich bin Doktor Leibundgut, Ihre neue Hausärztin.»
    Die anderen musterten sie ungerührt. Ein paar Mädchen ließen ihre Haarvorhänge über ihren Gesichtern zufallen. Stefanie presste die Lippen zusammen. Vermutlich, dachte Marie, hatte sie gehofft, sie könne hier neu anfangen. Sich neu erfinden. Ohne Eltern, ohne Geschichte, ohne Gepäck.
    Der junge Mann ließ seine Hose los und ergriff Maries Hand.
    «Mann», sagte er, «ist das wahr? Du bist mein Doktor?»
    «Ja», sagte Marie. «Wenn du hier in der Siedlung wohnst …»
    «Du siehst aber nicht aus wie ein Doktor.»
    Ein Mädchen blickte auf. «Ich wohne in der Siedlung. Dann kann ich Sie was fragen?»
    «Komm zu uns in die Sprechstunde.» Marie griff in ihre andere Jackentasche und fand ein paar Flyer, die die Gemeinschaftspraxis vorstellten. «Wir sind jeden Morgen ab sieben Uhr im Einsatz.» Einige der Jugendlichen griffen nach den Karten, drehten sie in den Händen, reichten sie weiter.
    Das Mädchen steckte ihren Flyer ungelesen in die Hosentasche. «Ja, aber, ich meine, sind Sie ein normaler Doktor oder sind Sie eine …» Sie senkte die Stimme. «Frauenärztin?»
    Die sie umstehenden Jungen wieherten. «Haha, Frauenärztin! Bist du schwanger oder was? Brauchst du die Pille?»
    «Ich bin Allgemeinpraktikerin», sagte Marie. «Aber wir haben eine Frauenärztin in der Gemeinschaftspraxis. Steht alles auf dem Zettel. Stefanie, kommst du jetzt? Ich kann die

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