Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen
über sie gesprochen.»
«Er hat nichts von einem Streit erzählt? Von Handgreiflichkeiten?»
Poppy presste die Lippen zusammen. Sie senkte den Kopf. Sie hatte alles verdorben. Es blieb ihr nur noch ein Ausweg. Sie hob den Kopf und schaute zwischen den beiden Polizisten hindurch an die Wand hinter ihnen. Sie fixierte einen Punkt, wie Nevada es sie gelehrt hatte. Wer die Augen fest auf einen Punkt gerichtet hält, verliert nicht so leicht das Gleichgewicht.
«Okay», sagte sie, «ich geb’s zu. Ich war’s. Ich hab’s getan. Ich bin schuld an ihrem Tod.»
Walder und Burckhardt wechselten einen Blick und standen dann auf. «Wir würden Ihre Aussage gern schriftlich festhalten. Kommen Sie bitte mit.»
Und Poppy ergab sich. Mit großer Erleichterung. Fast hoffte sie, man würde ihr Handschellen anlegen.
2. Teil
Wir atmen mit dem Herzen.
ś abdajñ ā n ā nup ā t ī vastu śū nyo vikalpa ḥ
Eine Vorstellung macht man sich aufgrund von Worten,
ohne dass der eigentliche Gegenstand
wirklich vorhanden wäre.
Patanjali Yoga Sutra 1 . 9
Poppy
Poppy lag auf dem Rücken und starrte an die Decke. Unter der grauen Farbe schimmerte die Betonmaserung durch. Ihre Augen folgten den Linien an der Decke auf und ab, die ganze Länge der Wand bis zum halbhohen Fenster, das groß war, aber vergittert. Sie zählte die Linien, bis sie einschlief. Sie schlief lange und tief. Das Deckenlicht blieb die ganze Nacht an, das Schiebefenster zum Flur wurde alle paar Stunden geöffnet. Es wurde kontrolliert, ob sie noch in ihrem Bett lag. Wo sollte sie sonst sein?
Es war alles nicht so, wie sie es sich gedacht hatte. Alles war anders. Kaum hatte sie ihr Geständnis ausgesprochen, hatten Walder und Burckhardt einen anderen Ton angeschlagen. Was hatte sie sich vorgestellt? Dass sie in die Ferien fuhr? Dass sie einen Koffer packen, ihre Freunde und Verwandte informieren, vielleicht erst noch etwas essen oder noch einmal darüber schlafen durfte? Sie hatten sie nicht einmal mehr die Toilette in ihrer Wohnung benutzen lassen. Sie hatte auch nichts einpacken dürfen. Bücher, Kleider, Toilettensachen, ihr Handy, ihr Laptop?
«Sie fahren nicht zur Kur», hatte Walder geschnaubt. Nur die Zigaretten hatte man ihr zugestanden. Sie hatte die Schachtel aus dem Nachttisch geholt, von der sie sich mit Wolf eine geteilt hatte. Burckhardt hatte ihre Tasche genommen, Walder hatte ihr tatsächlich Handschellen angelegt, sie war abgeführt worden. Auf dem Polizeiposten hatte man sie gründlich verhört. Doch Poppy hatte bald aufgehört zu reden. Sie merkte, wie sie sich verhedderte, in ihren Worten verirrte. Sie wusste nicht einmal, wie Kim umgekommen war. Nur, was sie in der Zeitung gelesen hatte. Kehlkopf eingedrückt. Wie machte man das? Mit der Hand? War sie überhaupt stark genug dafür? Sie konnte es sich nicht einmal vorstellen. Doch ihre Schuld war erwiesen, mindestens in ihrem Kopf. Sie war auch schuld an Wolfs Schuld. Sie musste ihn schützen. Das war das mindeste. Sie dachte an seine Hände, an seine Augen, an die Platzwunde auf seiner Stirn und sagte irgendwann einfach nichts mehr. Das Protokoll wurde ausgedruckt, eine knappe Seite, sie musste es unterschreiben.
Dann wurde sie zum Untersuchungsgefängnis gefahren. Eine graue Festung am Stadtrand, umgeben von Grün, ummauert, umzäunt, unbezwingbar. Ein Tor wurde geöffnet, der Streifenwagen rollte in einen Hof mit haushohen Mauern. Über die Gegensprechanlage wurde ihre Identität überprüft, ein zweites Tor geöffnet, sie rollten hindurch und über einen größeren Platz auf ein schwarzes Metalltor zu, das sich zu einer Garage öffnete. Dort stellte Walder den Motor ab und stieg aus. Sie begrüßte die Vollzugsbeamte, die Poppy in Empfang nahm, reichte ihr eine Mappe mit den Unterlagen. Burckhardt öffnete die hintere Tür und ließ Poppy aussteigen. Durch eine Glasscheibe sah Poppy in einen Raum voller Bildschirme und Apparate, an denen Menschen arbeiteten. Unwillkürlich lächelte sie ihnen zu. Burckhardt wies sie an, sich auf die gelben Fußabdrücke zu stellen, die neben dem Schalter auf den Betonboden gemalt waren. So stand sie mit dem Gesicht zur Wand, und Burckhardt nahm ihr die Handschellen ab. Dann stieg er wieder in den Streifenwagen, diesmal übernahm er das Steuer. Walder verabschiedete sich von der Kollegin, nicht aber von Poppy. Sie existierte nicht mehr.
Die Polizisten warteten im Streifenwagen, bis Poppy der Beamten in den nächsten Raum gefolgt
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