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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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sie war. Die Bettdecke war weich und verwaschen und roch nach Seife. Sie juckte auf ihrer Haut. Sie stand auf, wusch sich am Waschbecken, zog den blauen Pyjama aus und den blauen Trainingsanzug an. Sie machte ihr Bett, setzte sich darauf, wartete auf das Frühstück, das ihr durchs Schiebefenster gereicht wurde. Die Aufseherinnen stellten sich ihr jeden Morgen vor, begrüßten sie, fragten sie, wie es ihr gehe.
    «Ich mag keine Butter», hatte sie am ersten Morgen angesichts der schon geschmierten Brotscheiben gesagt.
    «Ist Margarine!» Doch am nächsten Tag hatte sie Brot ohne Aufstrich bekommen. Nach ein paar Tagen hatte Poppy sich an den säuerlichen Geschmack des Brotes gewöhnt, an den nussigen Nachgeschmack des lauwarmen Kaffees. Das Essen wurde dreimal pro Tag durch das Schiebefenster gereicht. Eine Stunde pro Tag durfte sie an die frische Luft, vorläufig noch allein. Erst wenn die Kollisionsgefahr abgeklärt worden war, würde sie mit den anderen Gefangenen zusammen in den Hof gelassen. Es machte ihr nichts aus, allein zu sein. Der Spazierhof war aus Beton, Tische, Hocker, Pingpongtische wuchsen aus dem Boden, alles aus demselben hellgrau gestrichenen Beton. Über ihrem Kopf spannte sich ein Metallnetz. Poppy hatte das Gefühl, diesen Spazierhof aus einem Film schon zu kennen. Er gefiel ihr. Sie war gern hier.
    Eine der Aufseherinnen hatte Poppy erzählt, dass sich während der Bauarbeiten hier ein Vogel eingenistet hatte. In der kleinen Wandnische, in der sich jetzt der Wasserhaupthahn befand, hatte er fünf Eier ausgebrütet. Die Arbeiter hatten mit dem Spannen des Metallgitters über den Hof gewartet, bis alle Vögel ausgeschlüpft und weggeflogen waren. Sie hatten die Vollzugsanstalt um dieses Nest herum fertiggebaut. Heussler hatte mit einem Schlüssel die Metalltüre geöffnet und ihr die Nische gezeigt, die jetzt vom blauen Rad des Wasserhahns ausgefüllt wurde.
    Nach einer Woche würde sie zum ersten Mal telefonieren dürfen, sie würde Besuch bekommen, außerdem eine frische Ausstattung: Handtuch, Waschlappen, Pyjama, Trainingsanzug, Unterwäsche und Socken. Poppy nahm eine Dusche. Der Wasserstrahl war lauwarm und hart. Sie wusch sich mit einer scharfriechenden Seife, sie spülte die Haare mit sehr viel Wasser. Der Seifenschaum machte sie stumpf.
    Das Tuch, mit dem sie sich abtrocknete, war dünn. Ihre Haut spannte, sie hatte keine Creme eingepackt. In Gedanken legte Poppy eine Liste an, die sie Julia diktieren wollte. Es fiel ihr niemand anderes ein, den sie anrufen konnte. Julia würde den Buben erklären können, was passiert war, besser, als Poppy es konnte.
    Dinge, die ich brauche , schrieb Poppy im Kopf. Duschgel, Shampoo, Pflegespülung. Kleider. Schuhe. Bücher. Zeitschriften. Zigaretten. Zigaretten. Zigaretten.
    Nach einer Weile würde sie arbeiten dürfen, Geld verdienen, sogar einen Fernseher mieten können. Aber keinen Computer. Poppy zog sich wieder an. Den blauen Trainingsanzug, der ihr jeden Tag kleiner zu werden schien, vielleicht hatte sie auch zugenommen. Zu essen gab es genug, man fragte sie jedes Mal, ob es genug sei, ob sie mehr Beilagen wolle, ob es ihr schmecke.
    Poppy hängte das feuchte Handtuch über die halbhohe Mauer zwischen der Dusche und ihrem Bett. Sie faltete das Pyjama zusammen und legte es unter ihr Kopfkissen. Sie schüttelte die Decke auf und strich sie glatt. Im Waschbecken spülte sie ihr Essgeschirr, trocknete es ab, stellte es zurück auf den Tisch, hängte das Küchentuch auf. Wischte das Becken sauber, faltete den Putzlappen zusammen.
    Das war alles. Um sie herum: Ordnung.
    Poppy legte sich wieder auf ihr gemachtes Bett und starrte an die Decke. Eine eigenartige Ruhe überkam sie. Wo war ihre Verzweiflung? Poppy war ganz ruhig. Sie fühlte nicht viel. Keine Verzweiflung, kein Glück. Die Stunden vergingen, die Tage, die Nächte. Zu jedem Zeitpunkt wusste sie, was als Nächstes kommen würde. Das Bett löste sich vom Fußboden, mit dem es verschraubt war, es schwebte zögernd erst etwa einen halben Meter über dem Boden, dann stieg es höher und höher, es flog durch das Fenster, das vergittert war. Poppy flog mit ihrem Bett davon, hoch, hoch über das Dach des Gefängnisses, über die Straßen und die Häuser der Stadt. Poppy schaute hinunter, da war das Haus, in dem sie aufgewachsen war, und da das Haus, in dem sie mit Peter gelebt hatte. Eine winzig kleine Figur stieg in ein rotes Auto, vielleicht Julia, die zum Gefängnis fuhr, um Poppy zu besuchen.

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