Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen
war. Erst als sich die Türe hinter ihnen schloss, hörte Poppy den Motor starten. Sie stand in einem Raum, der wie die Sicherheitskontrolle in einem Flughafen mit einem Rollband und einer Schranke ausgestattet war. Auch hier gelbe Fußabdrücke auf dem Boden, vor der Wand. Erst jetzt stellte sich die Aufseherin vor. «Mein Name ist Fahrny, ich bin für Sie zuständig, bis Sie eingewiesen sind.»
«Schneider», sagte Poppy, und die Frau nickte. Sie wirkte freundlich. Doch als Poppy zum Reden ansetzte – «Das sieht ja aus wie im Flughafen», wollte sie sagen, oder: «Wissen Sie, ich war noch nie im Gefängnis!» –, wandte sie sich ab. Sie hatte schon alles gehört.
Poppy trat durch die Schranke. Kein Piepsen. Sie legte ihre Beuteltasche auf das Rollband. Dann stellte sie sich auf die gelben Füße, bis Fahrny die nächste Tür geöffnet hatte. Sie betraten einen langen Flur mit Türen in immer gleichen Abständen, quadratischen Deckenleuchten. Poppy schaute nach oben, bis ihr schwindlig wurde. Im nächsten Raum sah es dann endlich aus wie im Gefängnis. Kalter Boden, graue Wände, keine Fenster. An der hinteren Wand ein Schreibtisch, auf dem ein Computer stand. Davor lag auf dem nackten Boden ein blaues Frottiertuch. Poppy fragte sich, was das Tuch zu bedeuten hatte. Sie würde es herausfinden.
«Stellen Sie sich bitte da hin», sagte Fahrny und zeigte zur Wand, an der eine weiße Messlatte mit dicken schwarzen Strichen befestigt war. Poppy wurde von vorn und von der Seite fotografiert. Wieder hatte sie das Bedürfnis zu plaudern, die Situation zu entschärfen. Doch etwas in Fahrnys Blick ließ es nicht zu, und plötzlich war Poppy froh darüber. Es gab nichts zu beschönigen, nichts zu entschärfen. Sie war aus ihrer Welt gefallen.
«Ziehen Sie sich bitte aus.» Fahrny zeigte auf einen Plastikstuhl, auf den Poppy ihre Kleider legte. Sie blieb in Unterhose und BH stehen.
«Ganz», sagte Fahrny und wandte sich ab, um sich am Waschbecken die Hände zu waschen. Aus einem Spender nahm sie ein Paar Gummihandschuhe, streifte sie über und drehte sich wieder zu Poppy, deren nackte Füße automatisch das blaue Tuch gesucht hatten.
Sie stand mit gespreizten Beinen auf dem blauen Tuch und ließ Fahrnys behandschuhte Finger ihre Körperöffnungen abtasten. Es ging schnell, es tat nicht weh. Poppy wartete darauf, dass ihr Körper sich empörte, aber nichts geschah. Fahrny händigte ihr frische Unterwäsche aus, einen blauen Trainingsanzug, Socken, ein paar Turnschuhe mit Klettverschluss. Dann setzte sie sich an den Schreibtisch und tippte mit schnellen Fingern eine Liste all der Dinge, die sie Poppy abnehmen würde.
Eine Handtasche/Leder/Beutelformat, Inhalt: Handy (iPhone G 3 ), Portemonnaie, silbernes Leder, drei Kreditkarten, diverse Kundenkarten, GA 2 . Klasse, 72.50 Franken in bar, 3 Lippenstifte, 1 Puderdose, 1 Kamm, 2 Bücher: «Wie man Dinge geregelt kriegt, ohne einen Funken Selbstdisziplin» und «Ein Sommer ohne Männer», Taschentücher.
«Was ist das?», fragte Fahrny und hielt einen Gegenstand hoch.
Poppy erstarrte. Ihr Telefon. «Das muss ich aus Versehen eingepackt haben.»
«Ist das etwa Ihr Haustelefon?» Fahrny schüttelte den Kopf. 1 Telefon , schrieb sie. «Sie haben ja mehr Müll in Ihrer Tasche als ich!»
Ihre erste persönliche Bemerkung. Poppy lächelte.
«Ich schreibe Diverses , in Ordnung?» Fahrny druckte die Bestandsaufnahme aus, Poppy unterschrieb. Ihre Sachen wurden in eine Plastikwanne gepackt und mit ihrer Dossiernummer versehen. Die Zigaretten durfte sie behalten.
In ein paar Tagen würde sie ihre privaten Kleider zurückbekommen, erklärte Fahrny. Sie würde sich auch Sachen von draußen bringen lassen können. Aber telefonieren durfte sie vorläufig nicht. «Kollisionsgefahr», sagte Fahrny, und Poppy nickte. Das konnte sie nachvollziehen. Sie kollidierte ständig und mit allem. Dass man diese Gefahr bannen konnte, beruhigte sie.
Sie gingen die endlosen Flure entlang, die Treppen hinauf, neue Flure entlang, alle sahen gleich aus. Überall dieselben Neonquadrate. Irgendwann blieb Fahrny stehen und schloss eine Tür auf. Poppys Zelle.
«Bettzeug liegt auf dem Tisch bereit», sagte sie. «Machen Sie schon mal das Bett, Abendessen gibt es gegen siebzehn Uhr.»
Poppy schaute auf ihr Handgelenk, an dem sie keine Uhr mehr trug.
Seither war jeder Tag genau gleich verlaufen. Morgens um sechs dröhnte eine Art Schiffshorn durch die Räume. Poppy wusste einen Augenblick lang nicht, wo
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