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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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«Was willst du, heiratest du einen Mann, heiratest du seine Vergangenheit mit!», würde sie antworten, wenn ihre Nachbarin kopfschüttelnd sagte: «Das ist doch nun wirklich nicht deine Aufgabe, Julia. Du bist eine Heilige, Julia.» Die Nachbarin hatte Poppy nie gemocht.
    Poppy flog weiter, über das Redaktionsgebäude der Lokalzeitung. Da hüpfte Audrey zur Eingangstür, in einem knallroten Minirock und Turnschuhen. Ihr Pferdeschwanz wippte. Auf dem Parkplatz dahinter eine Traube von Rauchern, und da war ihre Wohnung, und noch weiter vorn die Fabrik am Wasser, das Yogastudio. Von so weit oben konnte sie ihr Leben leicht überblicken. Es wirkte ordentlich und klein. Doch ihr Bett stieg höher und höher, bis es im undurchdringlichen milchigen Weiß der Wolkendecke stecken blieb. Jetzt war nichts mehr. Nur weiß. Poppy schloss die Augen. Hinter ihren Lidern schneite es.

 
    avidy ā k ṣ etramuttare ṣāṃ prasuptatanuvicchinnod ā r āṇā m
    Aus dem Missverständnis wachsen alle anderen Plagen.
    In diesem Boden schlummern sie
    oder sie sprießen aus ihm, zeigen ihre Köpfe,
    oder sie sind schon mächtig gewachsen.
    Patanjali Yoga Sutra 2 . 4

     
Nevada
     
    Sie wusste gleich, wer er war. Er trat einen Schritt auf sie zu, sie trat einen Schritt auf ihn zu, und dann standen sie voreinander, als gäbe es sonst nichts.
    «Kann ich dir helfen?», rief Nadine hinter der Theke hervor, und der Moment zerfiel. Beide schauten zu Boden, als könnten sie dort die Scherben sehen. Die Überreste eines Augenblicks.
    «Ich bin Wolf», sagte Wolf.
    Nadine nickte ermunternd, aber Wolf sah immer noch an ihr vorbei, sah immer noch Nevada an.
    «Nevada», sagte Nevada.
    «Wir müssen miteinander reden.»
    Nevada nickte. Natürlich mussten sie das.
    «Und die Stunde?», rief Nadine, da waren sie schon fast bei der Tür.
    Die Stunde. Genau. «Nach der Stunde», sagte Nevada. Und sie gab sich einen Ruck: «Möchtest du mitmachen?» In ihrer Stunde, als ihr Schüler, war er sicher. In der Stunde, als seine Lehrerin, war sie geschützt.
    Nevada praktizierte das fünfte Yama : Brahmacarya. Enthaltsamkeit. Die meisten modernen Yogalehrer interpretieren dieses Yama etwas großzügiger, je nach Quelle und Übersetzung konnte es auch Mäßigung bedeuten. Oder Selbstkenntnis.
    Während der Ausbildung zur Yogalehrerin hatte Nevada die Yamas und Niyamas durchgenommen, die Regeln für den Umgang mit sich selbst und mit anderen, die noch vor den Körperstellungen und Atemübungen kamen und die die ersten beiden Stufen auf dem Yogaweg darstellten. Damals hatte sie sich vor allem auf die Reinigungsrituale, die Kriyas, konzentriert. Doch obwohl sie kein Fleisch aß und auch keine Eier, obwohl sie regelmäßig Salzwasser erbrach, um ihren Körper reinzuhalten, gab es immer wieder diese Momente, in denen sie die Kontrolle verlor. Sie rauchte Marihuana, sie tauchte Zuckerwürfel in Tequila, sie fiel in fremde Betten.
    Eines Tages stand sie in einem fremden Badezimmer und suchte nach Zahnbürste und Zahnpasta. Vergeblich. Nach einer Weile musste sie sich der Erkenntnis stellen, dass sich der junge Yogalehrer, mit dem sie nach einer schweißtreibenden Übungsstunde nach Hause gegangen war, so sehr mit indischen Sitten und Gebräuchen identifizierte, dass er seine Zähne mit einer Salzpaste putzte, die er selber anrührte. Mit Salzwasser spülte er auch seine Nebenhöhlen, seinen Magen, seinen Darm.
    Nevada schaute in den Spiegel und konnte zusehen, wie sie in sich zusammensackte. Sie war immer noch nicht gut genug. Sie spülte ihre Nasenlöcher mit warmem Salzwasser aus. Mühelos konnte sie damals aus dem Stand in die Brücke fallen, und ihre Fußknöchel mit den Händen umfassen. Von hinten. Und doch war es nie genug. Sie benutzte immer noch herkömmliche Zahnpasta, keinen Salzstein. «Du bist auch keine Ziege», sagte eine Stimme in ihrem Kopf, und dann kam er, dessen Namen sie heute nicht mehr wusste, schlaftrunken herein und setzte sich aufs Klo.
    «Ist dir auch schon aufgefallen, dass Kot von Veganern nicht stinkt», murmelte er und machte sich gleich daran, diese These unter Beweis zu stellen. Nevada floh aus dem Badezimmer, raffte ihre Kleider zusammen, zog sich an.
    «So wirst du dich nie kennenlernen», sagte die Stimme weiter. Und da setzte sie die zwei Dinge endlich zusammen: Enthaltsamkeit und Selbsterkenntnis. Das eine musste zwingend zum anderen führen. Sex verunsicherte Nevada. Er verwischte die Ränder. Sie verlor sich in ihm. Also

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