Montana 04 - Vipernbrut
Ein roter Umschlag von der Größe, die man für gewöhnlich für Grußkarten verwendete, lag obenauf. »Was gibt’s ?«, erkundigte sie sich, nahm den Brieföffner und schlitzte den Umschlag auf.
»Schlechte Nachrichten. Ich habe dir doch von Johnna Phillips erzählt?«
»Die Bankerin, die bei der First Union arbeitet. Ihr Freund hat sich so große Sorgen um sie gemacht, oder?«
»Ex-Freund. Ich habe bei der Bank nachgefragt. Bislang ist sie dort nicht erschienen.«
»Es ist ja noch früh.«
»Ich weiß, aber ich habe einfach ein schlechtes Gefühl.«
Alvarez zog eine Weihnachtskarte aus dem roten Umschlag.
»Du glaubst, wir haben ein weiteres Opfer?«
»Könnte sein.« Pescoli betrachtete den Umschlag und grinste, dann sagte sie mit trällernder Stimme: »Oh, da hat dir wohl jemand eine Wichtelkarte geschickt!«
Alvarez verdrehte die Augen. »Ja, vermutlich.« Dann brachte sie das Gespräch wieder auf Johnna Phillips. »Hoffen wir, dass sie einfach nur ihrem Ex aus dem Weg geht.«
»Dann würde sie aber ziemlich drastische Maßnahmen ergreifen.«
»Vielleicht muss man das bei diesem Kerl.« Sie klappte die Karte auf. Ihre Augen weiteten sich, sämtliche Farbe wich aus ihrem Gesicht. »Oh, verdammt«, flüsterte sie und ließ die Karte fallen, als hätte sie sich die Finger daran verbrannt.
»Dieser Irre!«
Pescoli warf einen Blick auf die geöffnete Karte. Über den weihnachtlichen Grußworten lag das Foto einer nackten Frau. »O nein … «
»Das ist Brenda Sutherland«, wisperte Alvarez mit erstickter Stimme und gab sich alle Mühe, die Fassung zu bewahren, auch wenn sie weiß war wie ein Bettlaken.
Pescoli beugte sich über den Schreibtisch, um das Foto der Frau besser betrachten zu können, die entweder bereits tot war oder kurz davor stand zu sterben. Sie war nackt, um ihren Hals hing eine Kette mit einem Medaillon. Und ja, entweder war sie Brenda Sutherland oder ihre Zwillingsschwester. Die Kette war ihr zweimal um den Hals gewickelt, die Glieder schnitten in Brendas Fleisch und verletzten ihre Haut.
»Kranker Mistkerl «, flüsterte Pescoli.
Alvarez schluckte. »Das ist meins«, bekannte sie entsetzt. »Das Medaillon, das ich zur Kommunion bekommen habe. Ach du lieber Gott … « Sie starrte auf die geöffnete Karte, als hätte ihr Satan persönlich Weihnachtsgrüße geschickt. Als sie mit zitternder Hand nach dem Foto griff, ertönten die blechernen Klänge eines beliebten Weihnachtsliedes: »All I Want for Christmas Is You« - Alles, was ich mir zu Weihnachten wünsche, bist du.
Kapitel siebenundzwanzig
Ich habe absolut keine Ahnung, warum es jemand auf mich abgesehen haben könnte«, sagte Alvarez ungefähr zum hundertsten Mal an diesem Tag. Sie saß auf dem Beifahrersitz von Pescolis Jeep und starrte durch die Windschutzscheibe auf die Schlusslichter der vor ihnen fahrenden Wagen, während die Scheibenwischer gegen den unablässig vom Himmel fallenden Schnee ankämpften. Sie hatten einen langen Tag hinter sich, und nun wollten sie endlich Alvarez’ Subaru von der Polizeiwerkstatt abholen.
Jetzt kamen sie an einer Schule vorbei, vor der ein paar Kinder, dick eingepackt in Daunenjacken, Schals und Mützen, auf dem verschneiten Schulhof spielten.
Nachdem Alvarez heute früh die perverse Weihnachtskarte erhalten hatte, hatte sie in einem der Vernehmungsräume mit Halden und Chandler zusammengesessen und gemeinsam mit den FBI-Agenten herauszufinden versucht, in welcher Beziehung sie zu dem Mörder oder seinen Opfern stehen könnte.
Nun wussten sie sicher, dass sich Brenda, anders als ihr Ex-Mann vermutete, keine »nette Auszeit mit einem neuen Freund« gönnte.
Sosehr sie sich auch das Hirn zermarterte, ihr fiel einfach niemand ein, der zu solchen kranken Taten fähig sein könnte, geschweige denn, warum. Was die Opfer anbelangte, so kannte sie Brenda aus dem Wild Will, wo sie ab und an mit Pescoli essen ging. Mit Lissa Parsons hatte sie im Fitnessclub trainiert, aber Lara Sue Gilfry hatte sie noch nie im Leben gesehen, auch nie etwas über sie gehört, da war sie sich ganz sicher. Sie hatten Rod Larimer, den Besitzer des Bull and Bear Bed & Breakfast und Arbeitgeber von Lara Sue befragt, einen ziemlich unangenehmen Menschen, mit dem sie bereits bei einem früheren Fall zu tun gehabt hatte.
Sie hatte Haldens und Chandlers Fragen so gut beantwortet, wie sie konnte, hatte ihr gesamtes Leben vor ihnen ausgebreitet, doch am Ende hatte keiner von ihnen eine Verbindung zu dem
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