Montana 04 - Vipernbrut
geworden war und einen Fingerabdruck auf dem Umschlag oder Speichel beim Anlecken der Lasche hinterlassen hatte. Vielleicht erinnerten die Druckbuchstaben, in denen er die Adresse geschrieben hatte, an die Handschrift einer bestimmten Person, vielleicht hatte er die Karte vor Ort gekauft und das entsprechende Geschäft konnte sich an ihn erinnern oder der Polizei eine Kredit-oder Bankkartennummer nennen. Sie hatten bereits herausgefunden, dass die Karte in der Innenstadt eingeworfen worden war, vermutlich in einen der Briefkästen vor dem Postamt, die Bänder der Überwachungskamera wurden noch überprüft.
Vielleicht, ganz vielleicht, hatten sie ja Glück.
Kapitel achtundzwanzig
Während er sich durch den dichten Schneevorhang kämpfte, beschloss O’Keefe, dass er von nun an wie Kleber an Alvarez haften würde und dass es ihm völlig egal wäre, was sie dazu meinte. Um die Wahrheit zu sagen, war er nahezu krank vor Sorge um sie, denn es stand außer Frage, dass Selena es dem Eismumienmörder ganz besonders angetan hatte.
Als er in ihre Straße einbog, blieb sein Blick am Rückspiegel hängen und fiel auf sein von Blutergüssen entstelltes Gesicht. Junior Green hatte ganze Arbeit geleistet. In seinen Augen lag Entschlossenheit. Jetzt, da Aggie ihn gefeuert hatte und er nicht länger nach Gabe suchen musste, hatte er keinen Vorwand mehr, sich in Grizzly Falls aufzuhalten, doch er würde trotzdem bleiben. Auch wenn Selena Alvarez das mit Sicherheit bestritt, sie brauchte Schutz vor diesem Psychopathen, und O’Keefe würde diese Aufgabe übernehmen, selbst wenn sie deshalb stinksauer wäre.
Er parkte seinen Explorer am Straßenrand und machte sich, bewaffnet mit Werkzeugkoffer, Reisetasche, Laptop und einer Tüte aus dem Eisenwarenladen auf den Weg zu ihrer Haustür.
Als er klingelte, fühlte er sich plötzlich so verlegen wie ein Schuljunge, der darauf wartet, dass die Haustür von seiner Abschlussballpartnerin geöffnet wird.
Er hörte Schritte, dann sah er, wie Selenas Auge den Türspion verdunkelte.
Eine Sekunde später schloss sie auf und öffnete. In dem übergroßen Flanellpyjama, das Haar zu einem losen Knoten zusammengedreht, wirkte sie noch kleiner und zerbrechlicher, als sie war.
»Ziehst du bei mir ein?«, fragte sie misstrauisch und beäugte seine Reisetasche.
»Woher weißt du das?«, scherzte er, um einen unbeschwerten Tonfall bemüht.
»Das bringt meine jahrelange Erfahrung als Detective wohl so mit sich.«
»Aha. Nun, du hast recht. Ich dachte, ich schlage für ein paar Tage hier draußen meine Zelte auf.«
»Wirklich?« Sie lehnte sich mit der Schulter gegen den Türrahmen. »Ohne mich vorher zu fragen? Ich kann mich nämlich gar nicht daran erinnern, dich eingeladen zu haben.«
»Das hast du auch nicht.« Er hatte diese Reaktion erwartet und ging darüber hinweg, indem er sich an ihr vorbei in den kleinen Flur drängte. »Schließ die Tür hinter mir ab.«
»He, warte eine Sekunde, du kannst hier doch nicht mit Sack und Pack … «
»Natürlich kann ich das.« Er ließ seine Reisetasche auf den Wohnzimmerfußboden fallen und stellte seinen Laptop auf den Esstisch, dann drehte er sich zu ihr um und sagte: »Der Mörder hat es ein für alle Mal klargemacht: Es geht ihm um dich persönlich.«
»Du hast von der Weihnachtskarte erfahren.«
»Das auch, ja. Doch es gibt einen Grund dafür, warum dein Schmuck bei den Leichen gefunden wurde, warum man deinen Hund gestohlen hat, dein … «
»Du glaubst, er hat Roscoe?«
»Das weiß ich nicht, aber es liegt nahe. Seit dem Abend des Einbruchs ist er nicht wieder auf getaucht, und Gabriel hat ihn nicht mitgenommen.«
»Dieser Mistkerl. Mir ist der Gedanke ebenfalls gekommen, aber ich hatte gehofft … ach, verdammt.« Sie legte den Riegel vor, ging zu ihm ins Wohnzimmer und ließ sich auf die Couch fallen. Dann lehnte sie sich mit geschlossenen Augen in die Kissen zurück. Die Katze, die sich hinter dem Vorhang auf der Fensterbank versteckt hatte, sprang auf die Sofalehne und schnupperte an Alvarez’ Haaren. »Grayson hat mich von dem Fall abgezogen.« Abwesend griff sie nach Mrs. Smith und setzte sie auf ihren Schoß.
»Das musste er.«
»Ich weiß, aber es gefällt mir gar nicht.«
»Und es wird dich nicht von weiteren Ermittlungen abhalten.«
»Kein Kommentar.« Seufzend strich sie der Katze noch einmal über das weiche Köpfchen, dann richtete sie sich auf und öffnete die Augen. »Ich zerbreche mir den Kopf, wer wohl
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