Montana 04 - Vipernbrut
Blockhauses im Wald.
Sie folgte einem Van des Altenheims, der so langsam fuhr, dass sie am liebsten geschrien hätte. Schließlich bog sie von der Hauptstraße ab und fuhr über Nebenstraßen durchs Stadtzentrum und hinter dem Gerichtsgebäude entlang. Ihr Blick fiel auf das Schild der First Union Bank, und sie verspürte einen Anflug von Beklommenheit.
Johnna Phillips war nicht zur Arbeit erschienen, und als die Deputys im Laufe des Tages bei ihr zu Hause nachgesehen hatten, hatten sie festgestellt, dass sie auch dort nicht gewesen war. Genau wie ihr Ex-Freund, Carl Anderson, bei seinem Anruf auf Pescolis Handy behauptet hatte.
Sie hatte mit Luke noch ein Hühnchen zu rupfen, weil er, ohne sie zu fragen, ihre private Handynummer rausgerückt hatte, doch in diesem Fall hatte sie beinahe Verständnis dafür. Carl war außer sich gewesen vor Sorge, dass seine Freundin - Ex-Freundin - dem sadistischen Eismumienmörder in die Hände gefallen sein könnte.
»Wer bist du, du mieser Kerl?«, knurrte sie und verließ den Geschäftsbereich. Läden und Büros wichen Wohnanlagen und Häusern, die meisten davon mit blinkenden Lichterketten dekoriert. Auch einige Vorgärten waren weihnachtlich geschmückt, so dass sie unweigerlich an den vierten Heiligen König vor Prediger Mullins’ Krippe und an die Schneefrau in Mabel Enstads Garten denken musste. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Brenda Sutherlands Leiche in einer weiteren weihnachtlichen Kulisse auftauchte, jetzt, da die Polizei aufgrund der perversen Weihnachtskarte wusste, dass sie dem Eismumienmörder zum Opfer gefallen war.
»Nur wo, du kranker Fiesling?«, brummte sie. Der Polizeifunk am Armaturenbrett knisterte. Sie ließ die Lichter der Stadt hinter sich und fuhr durch die tief verschneite Landschaft, die sich nun um sie herum erstreckte. Schneeflocken tanzten im Scheinwerferlicht. Wieder und wieder zerbrach sie sich den Kopf darüber, welcher Zusammenhang zwischen den Opfern bestehen mochte, die sich auf keinen bestimmten Typ festlegen ließen: Alle waren unterschiedlich alt, auch Figur, Haarfarbe, Augenfarbe waren verschieden.
Das FBI überprüfte jeden, der mit den Enstads und der Presbyterianischen Kirche zu tun hatte, versuchte, gemeinsame Freunde, Feinde oder Bekannte der Opfer zu finden.
Alvarez hatte recht: Auch ihr Leben würde prüfenden Blicken unterzogen und in der Öffentlichkeit breitgetreten werden, und Pescoli fragte sich, wer die Männer wohl sein mochten, denen sie einen Korb gegeben oder die sie sonst wie enttäuscht hatte. Mit wem war sie ausgegangen, wen hatte sie abgewiesen? Gabriel Reeves leiblicher Vater würde vernommen werden, und man würde selbst Alberto De Maestro ausfindig machen und in die Mangel nehmen.
Pescoli liebäugelte sogar mit der Vorstellung, dass der Mörder eine Frau sein könnte, doch irgendwie passte das nicht. Es gab zu viele sexuelle Anspielungen: die nackten Leichen, die Schneefrau, die »von hinten« von dem Schneemann bearbeitet wurde. Nein … eine Frau würde nicht so weit gehen.
Alles ist möglich. Vielleicht versucht der Mörder, dich zu täuschen … Du musst unvoreingenommen bleiben.
Trotz der Argumente, die ihr durch den Kopf gingen, hätte sie das Gehalt der nächsten fünf Monate darauf verwettet, dass der kranke Killer ein Mann war. Wieder dachte sie an die »Künstler«, die am Wochenende an dem Eisschnitzwettbewerb in Missoula teilgenommen hatten. Keinem von ihnen hatte man etwas vorwerfen können, alle hatten absolut wasserdichte Alibis. Hank Yardley und George Flanders hätten ihrer Einschätzung nach in Frage kommen können, vor allem der hitzköpfige Flanders, der schon mal einen Eispickel geschwungen und damit seinen Nachbarn auf die Intensivstation befördert hatte. Als Farmer konnte er seine Zeit frei einteilen, doch er war verheiratet, und die aktuelle Mrs. Flanders gab ihrem Ehemann ein Alibi. Außerdem erforderte es einen kühlen Kopf, seine Opfer in eine Eisskulptur zu verwandeln; der gewalttätige Einsatz eines Eispickels würde ein solches Kunstwerk wohl eher zunichtemachen.
Außerdem suchte Pescoli nach jemandem, der in persönlichem Kontakt mit Alvarez stand oder gestanden hatte. Die Vorstrafenregister der beiden hatten keinen Hinweis darauf ergeben.
Aber man konnte ja nie wissen.
Und jetzt mussten sie sich mit einem weiteren Beweismittel befassen: der Weihnachtskarte, die der Mörder an Alvarez geschickt hatte. Es bestand die winzige Chance, dass der Mörder unvorsichtig
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