Montana 04 - Vipernbrut
Vorsichtig rollte sie zwischen den Bäumen hindurch und über eine kleine Brücke, die sich über den mit einer Eisschicht überzogenen Bach spannte, der durch ihr mehrere Morgen großes Grundstück in den Ausläufern der Bitterroot Mountains außerhalb von Grizzly Falls mäanderte. Als sich die Bäume lichteten, erfassten ihre Scheinwerfer die Hausfront. Drinnen brannte kein Licht.
»Ich glaube, meine Kinder sind beide verschollen. Wieder einmal.« Das schlechte Gefühl, das sie den ganzen Tag über begleitet hatte, während sie herauszufinden versucht hatte, was mit Len Bradshaw geschehen war, wollte nicht weichen.
»Kein Kommentar«, bemerkte Santana, wofür sie ihm dankbar war. Sie wusste, dass er der Ansicht war, dass die beiden dringend eine ernstzunehmende Vaterfigur in ihrem Leben brauchten. Es war nicht leicht, eine Sechzehnjährige und einen Achtzehnjährigen allein großzuziehen.
»Das ist gut. Dann muss ich nicht die Löwenmutter raushängen lassen.«
»Aber nein, das wollen wir doch um jeden Preis vermeiden.«
»Sicher.« Sie drückte auf die Fernbedienung, um das Garagentor zu öffnen, und betrachtete das Schneegestöber im Scheinwerferlicht. Was würde sie darum geben, auf der Stelle zu Santana zu fahren, seine Einladung zum Abendessen anzunehmen und anschließend die Nacht mit ihm zu verbringen, doch die Pflicht rief. Die Pflicht in Gestalt ihrer Kinder, wo zum Teufel diese auch stecken mochten. »Ich rufe dich später noch mal an.«
»Tu das.« Sie wollte schon die Aus-Taste drücken, als sie ihn sagen hörte: »Regan?«
»Ja?«
»Auch du hast ein Leben verdient.«
»Das stimmt«, pflichtete sie ihm bei. Er hatte recht, was ihre Kinder anbelangte, sie war nur nicht bereit, das zuzugeben.
Noch nicht. »Später.« Sie drückte das Gespräch weg und fuhr in die Garage. Die Scheinwerfer strahlten die Rückwand an, wo immer noch Kisten mit Joes Werkzeugen gestapelt waren. Ihr tat das Herz weh, wenn sie an ihren ersten Ehemann dachte, der wie sie ein Cop gewesen war. Joe Strand war bestimmt nicht perfekt gewesen, aber sie hatte ihn geliebt, und er hatte ihr Jeremy geschenkt, der zwar das gute Aussehen seines Vaters geerbt hatte, doch leider nicht dessen Verantwortungsbewusstsein. Joe war bei einem Einsatz erschossen worden, als sie gerade in einer schwierigen Phase steckten. »Ich glaube, ich habe versagt, Joe«, sagte sie, lauschte dem Ticken des Motors und schaltete die Scheinwerfer aus. In der Garage war es jetzt stockfinster.
Das Tor hatte sich hinter ihr geschlossen, der Wind rüttelte daran, und ihr wurde bewusst, wie lange sie nicht mehr mit ihrem verstorbenen Mann gesprochen hatte, dabei hatte sie das in den Wochen und Monaten nach seinem plötzlichen Tod regelmäßig getan.
Seit Nate Santana in ihr Leben getreten war, fing Joes Bild an zu verblassen. Endlich.
Auch als sie noch mit Luke »Lucky« Pescoli verheiratet gewesen war, hatte sie ständig an ihn denken müssen. Im Nachhinein erkannte sie, dass Luke nicht mehr als eine Liebelei gewesen war, doch verzweifelt, wie sie war, voller Furcht davor, ein Kind allein großzuziehen, hatte Regan diesen Versager geheiratet. Lucky war Lastwagenfahrer, attraktiv und sexy auf die typische Böser-Junge-Art, die sie so anziehend fand. Natürlich zeigte sich schnell, dass die eheliche Treue auch nicht so sein Ding war. Die Ehe war von Anfang an ein Fehler gewesen.
Nicht dass sie jetzt daran etwas ändern könnte. Außerdem war Bianca aus dieser Beziehung hervorgegangen.
Nach ihrer Scheidung hatte sich Pescoli geschworen, sich nie wieder auf einen Mann einzulassen, doch dann war sie Nate Santana begegnet. Ihr ganzer Widerstand war in null Komma nichts dahingeschmolzen, als er sie mit seinem sexy Cowboylächeln angestrahlt und ihr dreist zugezwinkert hatte. Vom ersten Augenblick an hatte es zwischen ihnen gefunkt, die Chemie zwischen ihnen stimmte einfach.
Das Problem war nur, dass er eine ernste Beziehung eingehen und sie nichts überstürzen wollte. Wieder und wieder schärfte sie sich ein, es diesmal langsam angehen zu lassen, einmal ihrem Verstand Vorrang vor ihrem Herzen zu geben und nicht andersherum. Doch Nate Santana machte es ihr schwer, sich an ihren Vorsatz zu halten. Verdammt schwer.
Nachdenklich nahm sie Handtasche und Laptop vom Beifahrersitz und stieg aus. Im Haus wurde sie von Cisco begrüßt, der aufgeregt kläff end um ihre Füße wuselte. Der undefinierbare Terriermix war längst nicht mehr so flink wie früher. Mit seinen
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