Montana 04 - Vipernbrut
zwölf Jahren ließ Cisco definitiv nach, doch er versäumte es nie, sie begeistert und herzerwärmend zu begrüßen, wann immer sie über die Schwelle trat.
»Jer?«, rief sie, obwohl sie wusste, dass ihr Sohn nicht da war, schaltete das Licht an und deponierte Handtasche und Laptop auf der Anrichte. Jeremys Pick-up hatte nicht auf seinem üblichen Parkplatz vor dem Haus gestanden. »Bianca?«, rief sie nun, diesmal ein bisschen lauter, doch außer dem Scharren von Ciscos Krallen auf dem Linoleum war nichts zu hören.
»Großartig.« Sie ließ den Hund durch die Hintertür nach draußen und warf einen Blick auf ihr Handy.
Keine Sprachnachrichten. Keine SMS.
Nada.
»Manche Dinge ändern sich nie.« Während Cisco draußen damit beschäftigt war, sein Geschäft zu erledigen, schweifte ihr Blick durch die Küche und blieb an einer Pizzaschachtel auf dem Tresen hängen, in der noch mehrere Ränder mit Käseklümpchen darauf lagen. »Das wird ja immer besser.«
Mindestens ein halbes Dutzend Tassen stand neben dem Spülbecken, weder ausgespült noch in den Geschirrspüler geräumt, doch zumindest nicht im Wohnzimmer verstreut.
Die Spülmaschine war durchgelaufen, saubere Teller warteten darauf, in die Schränke geräumt zu werden, aber bislang hatte sich niemand erbarmt. Sie versuchte, geduldig zu sein, gab sich wirklich alle Mühe; schließlich war sie diejenige gewesen, die ihren Sohn ermutigt hatte, wieder aufs College zu gehen. Er hatte ihren Rat beherzigt, wenn man ihn mit seinen sechs Wochenstunden denn als Studenten bezeichnen konnte. »Ich muss mich erst einfinden«, hatte Jeremy kürzlich während eines ihrer Gespräche behauptet.
»Gott verhüte, dass du auch nur ein klein wenig Zeit von deiner Videospielerei abzwackst. Komm schon, Jer. Es gibt mehr im Leben, als künstliche Soldaten auf dem Flachbildschirm niederzumachen.«
»Aber ich spiele mit anderen Leuten, mit Menschen von überall her.« Er drückte einen Knopf, und Pescoli hörte das Rattern von Maschinengewehren, bevor ein weiteres Opfer in einem ausgebrannten Bunker auf dem Fernsehschirm ein blutiges Ende nahm. »Ich gehöre zu einem Team.«
»Aber sicher. Zum Team Strand-Pescoli. Außerdem, Soldat, hast du deinen Anteil an den häuslichen Pflichten hier bisher ziemlich vernachlässigt.«
»Oh, Mom.«
»Ich meine es ernst.«
» Mom, das ist mehr als nur ein Videospiel!«
»Ach?«, entgegnete sie. »Glaubst du?«
»Ich weiß es. Call of Duty ist nicht einfach bloß ein Spiel«, beharrte er, die Controller fest in der Hand, die Augen starr auf den Bildschirm gerichtet.
»Doch, das ist es. Pass mal auf.« Sie ging zum Fernseher und schaltete ihn ab.
»Mom!«
»Ja?«
Als er sah, wie ernst sie es meinte, wagte er nicht weiter zu widersprechen, was Pescoli als winzigen Erfolg verbucht hatte, als Schritt in die richtige Richtung, obwohl er natürlich einen ernsthafteren Anstoß zu einer Verhaltensänderung brauchte.
Während sie nun ihre Jacke auszog und sie über eine Stuhl-lehne warf, raste Cisco zu seinem Futternapf und bellte laut, bis sie in der Speisekammer einen halben Messbecher Hundefutter abmaß. Der kleine Terriermix richtete sich auf und umtanzte sie auf seinen Hinterbeinen, als sie das Futter in seine Schüssel füllte. »Nun mach mal halblang, so spät ist es nun auch wieder nicht«, sagte sie zu ihm. »Du tust gerade so, als würdest du hier verhungern.« Wie immer machte sich der Hund über sein Trockenfutter her, als hätte er seit einer Woche nichts mehr gefressen.
Pescoli versuchte unterdessen, ihre Kinder per Handy zu erreichen. Keines von beiden ging dran. Sie hinterließ ihnen kurze Sprachnachrichten, und da sie wusste, dass sie sie vermutlich sowieso nicht abhören würden, schickte sie vorsichtshalber noch eine SMS.
Wo steckst du?, schrieb sie an Jeremy, Ruf mich an, und zwar sofort! an Bianca.
Sie überlegte, ob sie sich ein Bier einschenken sollte oder ein Glas Wein, doch sie beschloss, damit zu warten, bis sich die Kinder gemeldet hatten.
Ich bin jetzt erwachsen und kann tun und lassen, was ich will. Du hast mir gar nichts zu sagen, hatte Jeremy verkündet. Sein »Erwachsensein« hatte zu ernsthaften Auseinandersetzungen zwischen ihnen geführt. Sie war der Ansicht, er wäre keineswegs erwachsen, solange er von ihrem Geld lebte, und sei ihr daher durchaus Rechenschaft schuldig. Er sah das anders, natürlich, auch wenn sein Zimmer, das im Untergeschoss lag, ganz und gar nicht so ausschaute, als würde es von
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