Montana 04 - Vipernbrut
sollte auch die Abendschicht übernehmen, doch sie ist einfach nicht erschienen und hat auch nicht angerufen. Ich habe versucht, sie zu Hause und auf dem Handy zu erreichen, aber sie ist nicht drangegangen.«
»Ist das ungewöhnlich?«
»Ganz und gar. Seit sie bei mir angefangen hat, hat sich Brenda noch keinen einzigen Tag krankgemeldet. Hat sich nie freigenommen, es sei denn, eines ihrer Kinder lag mit Fieber im Bett, doch dann hat sie stets angerufen, um sicherzugehen, dass jemand anders ihre Schicht übernahm. Sie ist die pflichtbewussteste Kellnerin, die ich je hatte, und ich hatte schon eine ganze Menge.«
Das stimmte. Sandi schmiss das Restaurant schon seit Ewigkeiten, war schon Geschäftsführerin gewesen, als sie noch nicht von ihrem Mann geschieden war, doch erst nach der Trennung hatte sie das Wild Will in eines der beliebtesten Lokale von ganz Grizzly Falls verwandelt.
»Ich glaube nicht, dass jemand eine Vermisstenanzeige aufgegeben hat«, sagte Sandi jetzt. »Die Jungen übernachten heute bei ihrem Vater, ich glaube, das sieht die Besuchs-und Feiertagsregelung so vor. Ich erinnere mich, dass sie mir davon erzählt hat, deshalb hat sie ja auch die Abendschicht mit übernommen. Weil ich mir Sorgen gemacht habe, bin ich zu ihr nach Hause gefahren - sie lebt in einem Blockhaus im Elkridge Drive in der Nähe des September Creeks -, doch dort war alles dunkel. Niemand da. Es hat mich allerdings beunruhigt, dass ihr Wagen auf dem Seitenstreifen gleich hinter der Abzweigung von der Hauptstraße stand. Er sah verlassen aus, auf der Motorhaube und dem Dach lagen schon ein paar Zentimeter Schnee. Zunächst wollte ich die Neun-eins-eins wählen, doch dann dachte ich, es wäre besser, erst Sie anzurufen, weil Sie Brenda doch auch kennen.«
Pescolis mulmiges Gefühl verstärkte sich. Ein verlassenes Auto - das klang gar nicht gut. »War der Wagen fahruntüchtig? Hatte er vielleicht einen platten Reifen?«
»Ich weiß es nicht. So genau habe ich nicht nachgesehen.
Ich bin einfach nur zu ihrem Haus gefahren und habe an die Tür geklopft. Als niemand öffnete, habe ich ihre Festnetznummer gewählt. Drinnen klingelte das Telefon, doch niemand ging dran. Wie gesagt: Das ist völlig untypisch für Brenda.«
Sandi klang ernsthaft besorgt, was Pescoli ihr kaum zum Vorwurf machen konnte.
»Ich werde mal vorbeifahren«, sagte sie, »dann melde ich mich wieder bei Ihnen. Währenddessen könnten Sie mir den Namen und die Telefonnummer von Brendas Ex-Mann heraussuchen, vielleicht auch seine Adresse, und mir eine Liste der Freunde und Verwandten zusammenstellen, die wissen könnten, wo sie steckt. Das würde mir sehr helfen. Vielleicht hatte sie eine Panne, und jemand hat sie abgeholt. Wo genau steht der Wagen?«
»Richtung Norden, in Richtung ihres Hauses.«
Auch das war gar nicht gut. Es klang, als sei Brenda Sutherland auf dem Heimweg gewesen.
»War sie gestern bei der Arbeit?«
»Ja. Sie hat erwähnt, sie wolle anschließend an einem Treffen ihres Bibelkreises teilnehmen. Sie ist Mitglied der First Christian Church, das sind die, die an der neuen Kirche bauen, etwas außerhalb der Stadt, auf dem Grundstück, das Brady Long ihnen überlassen hat.«
Pescoli nickte, auch wenn Sandi das nicht sehen konnte.
»Ich habe Mildred Peeples angerufen. Sie sitzt in sämtlichen Kirchenausschüssen und macht sich gern überall wichtig. Kennt jeden und steckt ihre Nase überall hinein. Sie sagte, Brenda habe an dem Treffen teilgenommen, doch sie sei ein wenig nervös gewesen, als habe sie unter Zeitdruck gestanden. Zumindest hatte Mildred diesen Eindruck. Das Treffen habe eine halbe Stunde länger gedauert als vorgesehen und erst gegen zwanzig Uhr dreißig geendet. Soweit ich weiß, hat sie seitdem niemand mehr gesehen.«
Das war kein gutes Zeichen.
»Haben Sie den Ex-Mann angerufen?«
»Ray? Bestimmt nicht. Er ist ein richtiger Scheißkerl. Vielleicht steckt er dahinter, zutrauen würde ich es ihm.«
»Lebt er in Grizzly Falls?«
»Er hat hier eine Wohnung, aber ich weiß nicht genau, wo.«
»Gut, ich hab’s mir notiert. Ich werde mich darum kümmern.«
»Danke, Detective. «
»Kein Problem.« Pescoli legte auf und ging ins Schlafzimmer, doch anstatt sich Schlafanzug und Bademantel anzuziehen, nahm sie einen wärmeren Pullover aus dem Schrank.
Das mulmige Gefühl, das sie bei Sandis Anruf beschlichen hatte, wich echter Sorge.
Kapitel vier
Na schön, gehen wir’s noch mal durch. Was ist los?«, fragte Alvarez, als
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