Montana Creeds - Soweit die Sehnsucht trägt (German Edition)
verkündete Jimmy strahlend. Er hatte kein Wort von dem mitbekommen, was sie gesagt hatte, aber er war ja auch ein Mann. Männer hörten nicht zu, außer man sagte genau das, was sie hören wollten. “Bestimmt werden sie dir kostenlos ein Zimmer geben, weil du zu mir gehörst. Im Sundowner ist es etwas still geworden, seit am Kasino ein neues Holiday Inn eröffnet wurde.”
Sharlene war fasziniert. Dylan würde ihr ganz sicher kein Zimmer geben wollen – jedenfalls nicht sofort –, und wenn sie sich irgendwo einquartieren musste, würde das ihre ohnehin kläglichen Finanzen arg strapazieren.
“Das wäre mir sehr unangenehm”, zierte sie sich mit gespielter Verlegenheit und gab sich Mühe, so lieblich zu klingen, wie es ihr bei diesem Gegenüber möglich war. Ein Problem bei ihm war, dass sein Deo vor mindestens drei Haltestellen versagt hatte. “Aber wenn wir uns bei deinen Eltern ein Zimmer teilen …”
“Nein, das würde natürlich nicht gehen”, erwiderte er und strahlte sie weiter an. “Meine Mom würde einen Tobsuchtsanfall bekommen. Aber sie ist eine gute Köchin, und es ist immer alles blitzblank. Sie sitzt mir schon seit Jahren im Nacken, dass ich mir eine Freundin suchen soll, darum wird sie begeistert sein, dich kennenzulernen.” Er zog unter dem dreckigen T-Shirt die fleischigen Schultern hoch. “Ich quartiere mich erst mal auf der Farm ein.”
Dass deine Mom dich mit einer Freundin sehen will, glaube ich dir aufs Wort, dachte Sharlene, während sie weiter ihr Pfadfinderinnenlächeln zur Schau stellte. Viel Glück, du Pfeife.
“Ich bin im Moment nicht so richtig flüssig”, gestand Sharlene mit einem naiven Lächeln. Sie hasste es, dieses Gesicht aufzusetzen, aber mit der Ausnahme von Dylan Creed war sie damit noch bei jedem Mann durchgekommen, also griff sie auch jetzt zu diesem Trick.
“Ich weiß”, entgegnete Jimmy gut gelaunt und begann in der Nachmittagssonne wieder stark zu schwitzen. “Darum finde ich ja auch, dass du bei Mom und Dad im Sundowner bleiben solltest, bis wir so weit sind … na ja, bis wir den anderen von uns erzählen können.”
Dass sie sich nicht spätestens jetzt übergab, sondern ihn anlächelte, war eine Leistung, die mit einem Oscar hätte belohnt werden sollen. “Okay”, sagte sie und klimperte mit ihren falschen Wimpern. “Wenn du dir ganz sicher bist.”
Dieser Trick hatte bei Dylan auch nicht funktioniert, allerdings war dieser Jimmy von einem ganz anderen Schlag als der liebevolle Daddy ihrer kleinen Tochter.
Gut eineinhalb Stunden später hatte sich Sharlene in einem schäbigen Zimmer im schäbigen Sundowner Motel am anderen Ende der Main Street eingerichtet. Sie gehörte praktisch schon zur Familie.
Sie duschte, sie zog etwas Frisches an und legte etwas Lipgloss auf.
Dann verschlang sie das Putenschnitzel mit Püree und Erbsen, das Jimmys erfreute Mutter in der Küche gleich hinter dem Empfang des Motels zubereitet hatte.
Mit dem Problem namens Dylan konnte sie sich später immer noch befassen. Sie hatte ja Zeit.
Jetzt würde sie erst mal einen Gang zurückschalten und Kräfte sammeln. Sie war auf den Füßen gelandet – so wie immer.
Kristy war verwundert, dass Dylan kurz vor ihrem Feierabend in der Bibliothek auftauchte, ohne Bonnie oder Sam in seinem Truck. Sie hatte gerade noch Zeit genug, die Tür abzuschließen, dann zog er sie hinter sich her.
“Wohin …”
“Wirst du schon sehen”, sagte er nur.
Sie ließ sich von ihm wie ein Sack Kartoffeln in seinen Wagen heben, saß da und rätselte, was das alles zu bedeuten hatte.
Er verriet kein Wort, stattdessen schaltete er das Radio ein, suchte einen Country-Sender und summte die Songs mit, während sie die Main Street entlang und dann weiter in Richtung Ranch fuhren.
Vielleicht hatte er doch diesen großen Wohnwagen gemietet und zog mit ihr, Bonnie und den Tieren dort ein, bis das neue Haus fertig war.
Aber dann bog er an dem windschiefen Briefkasten mit dem Schriftzug
Madison
ab, und sie fuhren über die holprige Zufahrt zu dem Haus, in dem sie aufgewachsen war.
Tränen stiegen ihr bei dessen Anblick in die Augen.
So viele Erinnerungen, gute wie schlimme.
Wann hatte sie begonnen, nach vorn zu schauen und die Vergangenheit ruhen zu lassen? Wann, wusste sie nicht. Sie wusste nur,
dass
sie es getan hatte.
“Was soll das?”, fragte sie. “Warum sind wir hier?”
Dylan löste seinen Sicherheitsgurt, drehte sich um und löste auch ihren, dann küsste er sie sanft auf den
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