Montauk: Eine Erzählung (German Edition)
Begeisterung für New York; seine Bereitschaft, einen zweiten Winter in New York zu verbringen, beglückt sie. New York ist wichtig für ihre Arbeit, so daß sie ihre Flugangst überwindet und einen Monat voraus fliegt, da er noch Verpflichtungen hat in Europa. Ihre Briefe sind mit Schwung geschrieben, froh und liebevoll. Die Penelope-Geschichte hört er kurz nach seiner Landung: ein gewisser Jack, den er noch nicht kennt, habe sie verführen wollen, ja, geradezu vergewaltigen, so daß sie Freunde rufen mußte, um diesen betrunkenen Jack aus dem Zimmer zu bringen. Er nimmt Anteil an ihrer Arbeit, doch braucht sie andere Helfer, und das versteht er; sein Englisch ist dürftig. Man trifft sich nicht mehr zu viert, sie und er und der Freund und dessen junge Frau, die schwierig geworden ist. Was sonst merkt er? Er merkt, wie wenig er seine Frau zu überzeugen vermag, was immer das Thema sei; sie weiß die ganze Zeit, daß er die ganze Zeit in Unkenntnis seiner Lage lebt, und wie soll sie noch glauben können, daß er nicht in allen Dingen sich ebenso irrt? Je rechthaberischer er wird, um so öfter irrt er sich tatsächlich; das merkt er. Ein schlechter Winter. Was kann die Frau dafür, daß er so unsicher ist in seiner eigenen Arbeit? Dann wieder sitzt er mit Gästen (sie kocht) und redet drauflos in Gegenwart ihres schweigsamen Freundes und merkt nicht, daß er so nicht reden würde in Kenntnis der Lage. Ihr Blick von der Seite ist nicht Tadel, wie er meint; nicht ohne Zuneigung, nur hilflos. Er überzeugt auch die andern nicht. Das liegt nicht an seinem Englisch. Er überzeugt sich selber nicht. Sie wünschtihm Erfolg in Paris, THEATRE NATIONAL DE L’ODEON , er hätte Grund, stolz zu sein, und statt dessen bedrückt ihn wieder ihre Flugangst, eine Art von Klaustrophobie, weswegen sie ihn nicht nach Paris hat begleiten können. Er weiß nicht, was mit ihm los ist. Der Arzt, den der Freund empfehlen kann, findet überhaupt nichts. Überschätzt er sich? Er erwartet Respekt. Er macht sich lächerlich gerade dadurch, daß er plötzlich wieder meint, man nehme ihn nicht ernst. Das ist peinvoll auch für den Freund, der ihn schätzt. Einmal steht er auf, der Freund, geht zur Tür und haut ab. Hoffentlich widerfährt ihm nichts auf den nächtlichen Straßen, man müßte sich um ihn kümmern. Es stellt sich heraus, daß der Freund inzwischen eine zweite Wohnung hat, eine kleine, da er in der ehelichen Wohnung nicht in Ruhe arbeiten kann, und da sitzt er denn auf dem Bett: SORRY , sagt er, I AM DRUNK . Das kann es geben. Ein anderes Mal, als er die Geburtstagstorte mit den dreiunddreißig Kerzen bringt und in Gesellschaft spaßig-ritterlich kniet vor seiner Frau, ist es auch nicht der Augenblick, um ihn in Kenntnis zu setzen – das tut sie ein Jahr später (1973) in einem Gespräch am steinernen Tisch. Keine Beichte; ein Gespräch über die Selbstverwirklichung der Frau. Sie sagt es beiläufig. Er fällt nicht vom Roß wie der Reiter am Bodensee, sondern geht an die Arbeit; Korrespondenzen beruflicher Art. Eine natürliche Geschichte. Dazu gibt es nicht viel zu sagen. Sie hat ein volles Jahr gedauert; eine große Liebe; sie hätten miteinander leben mögen. Warum sie’s nicht haben sagen können, schließlich versteht er auch das: sie haben nicht wissen können, daß er es versteht; er hat keine Gewähr geboten, daß er, ein Sechzigjähriger, sich nicht erschießt, vergiftet, erhängt deswegen ... Jetzt gilt’s: Lynn hat den blauen Schläger in die Hand genommen, sie spielen weiter. Was soll man hier anderes tun. Es ist noch nicht zehn Uhr abends. Die Brandung unter Scheinwerfern. Morgen wird’s regnen.
Lynn gewinnt 5 : 3.
(Später, ungefähr einen Monat nach diesem Pingpong, falle ich doch vom Roß – ich beschimpfe Jörg, der mir einmal, 1972, eine Arbeit von sechs Jahren gerettet hat vor gänzlicher Verstümmelung; ein Freund also. Ich gehe in seiner Stube auf und ab, ich lache: Unsere Gespräche unter vier Augen, Männergespräche, während er also gewußt hat, was ich über meine Ehe nicht weiß. Verzeihung! Ich nehme zurück, was ich im Zorn gesagthabe. Wohin aber mit dem Zorn? Auch stimmt es ja nicht: nicht sie hat ihn damals eingeweiht, viele haben geredet, und er, als Freund, hat sie gefragt, ob ich davon wisse. Ich habe zu verstehen: ihre Bedrängnis. Hätte denn er, der für sie ein Bündel amerikanischer Liebesbriefe verwahrt in diesem Haus, ihr Vertrauen mißbrauchen dürfen? Ich bin trotzdem
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