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Montedidio: Roman (German Edition)

Montedidio: Roman (German Edition)

Titel: Montedidio: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erri De Luca
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wiederholt sie immer, wenn er sich an Onkel Totò erinnern will. Jedes Jahr nimmt Papa mich mit zum Friedhof, damit ich eine Blume auf das Massengrab lege, der Friedhof ist der zoologische Garten der Toten. Sie sind dort eingeschlossen. An einem Sonntag im Herbst bin ich mit Mama und Papa in den Zoo gegangen. Wir hatten trockenes Brot dabei, ich hab es dem Elefanten gegeben, der es mit dem Rüssel aus meiner Hand aufgenommen hat, und er war so vorsichtig dabei, dass es ein Streicheln war. Papa freute sich, als er hörte, wie ich die schwierigen Namen der Tiere aussprach. Das restliche Brot war für das Nilpferd, das sein Maul wie ein Scheunentor aufsperrte, und ich warf ihm das Stück hinein. Papa sammelte Eukalyptusbeeren, ein Name, den er nicht aussprechen kann, calippeso sagt er. Er bewahrt sie in der Tasche auf, er mag ihren Duft, er riecht an ihnen, wenn er in den Kielräumen steht.
    A N DEN K ÄFIGEN STEHEN außen Namen, die Tiere darin bewegen sich nicht. Es ist ihr Widerstand gegen uns, reglos zu bleiben, ohne uns Freude zu machen. Nur der Wolf läuft aus Sehnsucht und als Turnübung in der Umzäunung auf und ab und blickt lange auf einen weit entfernten Punkt, obwohl es vor ihm gar keine weite Entfernung gibt. Während er läuft, wartet er auf die Ankunft eines Jägers, eines Befreiers, das denke ich. Die Toten sind eingesperrte Tiere, sie warten auf die Auferstehung. Onkel Totò ist ein Wolf, seit dem Tag, als sie ihn eingesperrt haben, brennt er darauf, weit weg zu laufen von der Via Medina. Ich bin älter als er, er hat aufgehört, bevor er zehn Jahre war, einen Tag davor. Er ist nicht zur Schule gegangen, darum legt Papa sehr viel Wert auf eine Ausbildung, damit ich nicht von der Straße zu etwas gezwungen werde, damit ich nicht dort lande.
    E S BRECHEN SCHÖNE KALTE A BENDE AN , gezaust vom Wind, der den Vomero und San Martino erklimmt und über Montedidio hinweggeht, bevor er das Meer fegt. Ich warte darauf, dass Maria heraufkommt, mache mein Training und betrachte den Himmel, um dort ein Ziel zu finden. Wenn ich den Bumerang werfe, werde ich das gute Auge schließen und das ein bisschen trübe offenhalten, das in die Ferne blicken kann, ohne zu tränen. Später wandern Maria und ich, die Nasen himmelwärts gereckt, über das Firmament, sie sagt, dass es ein Deckel ist, ich sage, es ist ein Netz, jeder Stern ist ein Knoten. Sie sagt, dass wir darunter sind, ich sage, wir sind auf der gleichen Höhe, auch wir Erdenbewohner sind Schwimmer im Himmel, wie die Bojen.
    W EIHNACHTEN KOMMT, AN IHRE T ÜR klopfen die Gläubiger, es folgen heftige Wortwechsel, im Treppenhaus hört man Geschrei, ihre Mama öffnet nicht, der Vater ist fort. Zu Hause sehe ich Papa um sechs, wenn ich ihm den Kaffee aufwärme, auch ich trinke davon, er sagt nichts. Als Mama noch da war, bekam ich Kaffeeersatz, jetzt merkt er es nicht mal, wenn ich anfange zu rauchen. Die Erwachsenen laufen ihren Problemen hinterher, und wir bleiben in den tauben Wohnungen zurück, die kein einziges Geräusch mehr hören. Nur unser eigenes hören wir, und es macht ein bisschen Angst. In der leeren Küche streifen mir die Geister übers Gesicht und beruhigen mich. Der Bumerang ist immer an meinem Körper und wärmt mich, sein Holz muss unter einer Pfanne aus Sonne gewachsen sein, so viel hat er davon aufbewahrt. Maria schützt sich mit einem Mantel vor der Kälte und mit mir. Ich stehe vor ihr im Wind und halte ihn für sie ab. Bald ist Weihnachten, sagt Maria, lass uns ein Huhn kaufen und es kochen, lass uns ohne sie feiern. Es wird das schönste Weihnachten von allen, ich backe Kekse im Ofen, sagt sie und setzt mir einen Kuss auf die kalten Haare. Aus dem Tramontanawind regnen Küsse.
    P APA VERKÜNDET, DASS ER am Weihnachtsabend bei Mama im Krankenhaus sein wird. Diese Krankheit ist eine Sache zwischen den beiden, meine Aufgabe ist es, auf die Wohnung aufzupassen und zu warten, ich warte. Darauf, dass der Flug des Bumerangs kommt, dass er sich von der Wurfbewegung der Schulter löst und sich im Dunkeln verliert, dass er gegen die Sterne prallt, gegen ihren Deckel laut Maria, in ihr Netz, wenn es nach mir geht. Ich fühle mich so stark, dass ich ihn in die Wolken schleudern könnte. Der Bumerang ist leichter geworden, er ist bereit. Bald ist es so weit. Mittlerweile sieht Rafaniello aus wie ein Vogel, er wird mager, im Gesicht treten ihm die Knochen hervor. Don Rafaniè, Ihr müsst essen, Brot, Öl, Knoblauch und Zwiebeln sind nicht genug für Euch,

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