Montedidio: Roman (German Edition)
gegessen.« Maria sagt, dass er sterben wird, er hat dem Tod ins Gesicht gesehen, als sie zu ihm gesagt hat: Stirb. Ein Wort genügt, und du kannst einen Mann fertigmachen. Maria weiß viele Sachen, zum Beispiel weiß sie, dass sie stärker ist als ein Erwachsener. Mich schüchtern sie ein, sie nicht, sie kann sie sogar angreifen. Es muss daran liegen, dass sie eine Frau ist und erfahren hat, was Abscheu ist. Sie ist dreizehn Jahre alt, und ihre Brüste wachsen schneller als meine Muskeln vom Bumerang. Sie lässt sie mich berühren, sie sind hart, sie sagt: »Sie gehören dir.« Mir wächst dann mein Dings, und die Spucke läuft mir im Mund zusammen. Sie fragt, ob ich ihre Hände will, ich sage, nein, Maria, mach bei mir nicht die Sachen vom Alten. Sie sagt, in Ordnung, du hast recht, wir müssen Liebe machen, aber sie sagt es auf Neapolitanisch: »Avimma fa’ ammore« , amore mit zwei m , denn so ist es härter, echter. Und ich sage: Wir machen sie schon, nein, sagt sie, das ist eine andere Liebe, alle beide nackt im Bett wie die Brautleute.
E S IST KÜHL abends auf der Dachterrasse, bei den Windböen dort oben werden die Wolken am Himmel in die Länge gezogen wie Fischgräten. Ich mache mehr Drehbewegungen beim Training, so wärme ich mich auf. Der Weihnachtsmonat steht schon vor der Tür, tagsüber steigen die Dudelsackpfeifer nach Montedidio herauf. Maria bringt eine Decke auf die Terrasse mit, wir setzen uns im Windschatten auf den Boden. Wenn wir aufhören zu reden, drückt sie den Mund direkt in meinen Mund, das ist der Abschiedsgruß, wir sagen nicht Guten Abend, Auf Wiedersehen, Bis Morgen, nichts, ein Kuss mit dem offenen Mund, und wir sind uns einig. Ich übe noch ein bisschen, der Bumerang wird sofort heiß. Das Holz zittert vor Bereitschaft, es zerschneidet die Luft, drückt gegen den Himmel, ich stehe mit gegrätschten Beinen und lasse mich vom Schwung des Arms, der losschnellt und dann jäh den Flug anhält, nicht von der Stelle rücken. Der rechte und der linke Arm wachsen gleich schnell, wie die Brüste von Maria. Die Papierrolle wächst auf der beschriebenen Seite, ich drehe sie nicht zurück, um noch einmal zu lesen, ich merke, dass sie Gewicht hat. Der Teil ist noch übrig, wird leichter. Maria weiß nicht, dass in einer Papierrolle etwas über sie geschrieben
steht.
D ER H AUSBESITZER IST VORBEIGEKOMMEN , um die Miete von Meister Errico zu kassieren. Der hat ihn kommen sehen und hat gesagt: »Vene chillo che tene« , da kommt der, der besitzt, er wollte damit sagen, dass es Menschen gibt, die arbeiten und etwas tun, und dann gibt es die, die besitzen, sie sind Besitzer und tun nichts. »Vene chillo che tene.« Er sagt kein Wort, er wirkt niedergeschlagen, hat das erloschene Gesicht von einem, der eine schlaflose Nacht hinter sich hat. Auch Meister Errico sagt nichts außer »Guten Tag«, bezahlt mit den Lire, die er beiseitegelegt hat, dann, als der andere draußen ist, sagt er: »Den Alten treibt etwas um, obwohl er so geizig ist, ist es das erste Mal, dass er sich nicht sofort dranmacht, das Geld zu zählen.« Ich frage, ob er wirklich ein geiziger Mensch ist. »Geizig ist gar kein Ausdruck, der ist ja noch Jungfrau an der Hand, nisciuno l’ha potuto arapi ’e ddeta , niemand hat ihm je die Finger öffnen können«. In Marias Namen habe auch ich gewagt, meine Meinung kundzutun, nämlich dass er ein böser Mann ist. Meister Errico hat mich sofort zurechtgewiesen: »Guagliò, chi parla areto se fa’ risponnere d’o culo« , Junge, wer hinterherredet, hinter jemandes Rücken, der kriegt eine Antwort vom Hintern. Ich habe mich ins Gesicht gekniffen aus Scham darüber, dass ich hinterhergeredet hab. Entweder man sagt es jemandem ins Gesicht, oder man hält den Mund.
D EN RESTLICHEN T AG ÜBER habe ich an Onkel Totò gedacht, den ich nicht kennengelernt habe. Er ist um zwölf Uhr mittags vor der Hauptpost bei einem Luftangriff getötet worden. Papa war sein älterer Bruder, er ging zum Hafen, um dort auszuladen, und Onkel Totò begleitete ihn bis zur Via Medina, wo er auf dem Bürgersteig den Leuten die Schuhe putzte. Die Bombe hat ihn in zwei Stücke gerissen. Papa ist nach dem Bombenangriff schnell rausgelaufen und hat ihn an seinem Platz gefunden, das Schuhputzbänkchen war heil geblieben, Onkel Totò in zwei Teile gerissen. Es war Juli, die Körper der Toten waren voller Staub und ohne eine einzige Fliege, denn auch die waren tot. Diese Einzelheit ist ihm im Gedächtnis geblieben, und er
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