Montedidio: Roman (German Edition)
ihm die Kunden für die Traueranzeigen schickt und außerdem ein guter Freund von ihm ist. Der sieht den Koffer und sagt: »Don Libò, eine gute Reise wünsch ich Euch«, und Don Liborio antwortet: »Danke, aber ich fahre nicht weg, ich bin gerade angekommen«, holt den Koffer wieder aus dem Taxi und kehrt nach Hause zurück. Am nächsten Tag erst ist er abgereist. Er selber hat es Meister Errico erzählt, der die Druckerei abends geöffnet gesehen und ihn gefragt hat, warum er immer noch in der Stadt sei. »E ppe fforza, comme partivo co’ ll’augurio d’o schiattamuorte?« Ja, klar doch, wie kann ich denn mit den guten Wünschen vom Totengräber losfahren?« Dann hat Meister Errico die Zeitung und das Geschwätz beiseitegeräumt und seine Beschwörungsformel als Tischler gesprochen: »San Giuse’, passace ’a chianozza« , heiliger Josef, geh mit dem Hobel drüber über diese Sprüche.
I CH HABE R AFANIELLO VON M ARIA und vom Hausbesitzer erzählt. Er hat eine Weile geschwiegen, dann hat er die Augen fest zusammengekniffen und gesagt: »Sein Schicksal soll das des Hundes sein, der an der Feile leckt.« Seine Stimme war kalt geworden wie der Tramontanawind, mir ist ein Schauer über den Rücken gelaufen. Was sagt Ihr da, Don Rafaniè? »Eine Verwünschung«, hat er geantwortet, aber wieder mit seiner eigenen Stimme, die zurückgekehrt war. »Ich spreche sie aus, aber sie kommt nicht von mir, sie benutzt mich, um herauszukommen. Deine Geschichte wurde gehört, und eine Hagelkugel ist auf diesen Mann niedergegangen.« Viele Dinge verstehe ich nicht, auch das mit dem Hund nicht. Don Rafaniè, ist die Verwünschung mit dem Hund schlimm? »Sehr schlimm, der Hund, der die Feile leckt, leckt sein eigenes Blut, doch es gefällt ihm mehr als der Schmerz, und er macht weiter, bis er verblutet.« Der Abend ist gekommen, Zeit zu schließen, ich bin fertig mit Saubermachen, ich helfe Rafaniello, sein Bänkchen in Ordnung zu bringen. Im Buckel knirschen die Knochen, er schaut nach oben, dabei drückt er den Sack mit den Flügeln nach hinten. Seine runden grünen Augen suchen in der Luft nach einer Stelle zum Aufsteigen, die Stadt ist mit Mauern und Balkonen in die Höhe gewachsen, Himmel kommt da nicht hindurch. Aber er findet jetzt auch im geschlossenen Raum etwas, um sich zu orientieren, im Kopf hat er den Kompass der Störche. Ich ziehe den Rollladen herunter, wir verabschieden uns voneinander, er sagt, dass es schön ist, Flügel zu haben, aber noch schöner, geschickte Hände fürs Arbeiten zu haben.
M EISTER E RRICO HAT die ganze Gasse mit seiner Stimme in Aufruhr versetzt. Er ist wütend geworden, hat seine böse Seite hervorgekehrt. Ein Handwerker arbeitete auf einem Balkon im letzten Stockwerk, er besserte ein Gesims aus. Auf einmal hat man ein lautes Krachen in der Gasse gehört, Meister Errico ist nach draußen gerannt und hat die Brocken vom Putz gesehen. Er hat angefangen, den Arbeiter anzuschreien, dass hier unten Kinder und Leute sind. Der hat ihm geantwortet, dass er arbeiten muss, da hat Meister Errico vollends rot gesehen und losgebrüllt: »Scinne!« , komm runter. Komm runter und hau ab nach Hause, nimm die Beine unter den Arm, sonst komm ich rauf und brech dir sämtliche Knochen. Er hat’s auf Neapolitanisch gesagt, so laut, dass die ganze Gasse verstummt ist. Der Arbeiter hat gemerkt, dass es nicht sein Tag ist, und ist heruntergekommen, überall guckten die Leute aus den Fenstern, und Meister Errico stand mitten auf der Gasse. Ich bin nach draußen gegangen, um den Schutt wegzufegen: »Statte fermo tu, l’adda fa chillo« , du rührst dich nicht, hat er zu mir gesagt, das soll der machen. Die Sache wurde ernst. »Regt Euch nicht auf, Meister Errico, nur ruhig Blut, lasst den Jungen machen«, die Stimme von Don Liborio, dem Drucker, hat Meister Errico beruhigt. »Kommt, gehen wir einen Kaffee trinken«, er hat ihn untergehakt und ist mit ihm die Straße hinaufgegangen. Ich habe die Brocken weggefegt, und der Arbeiter konnte gehen.
D IE F RAUEN REDETEN UNTEREINANDER , sie sagten, dass er ganz recht getan habe. In Neapel stiften die Frauen keinen Frieden zwischen den Männern. Die Älteste sagte, dass Meister Errico einen Charakter habe wie einer von der Camorra, und damals, in den Septembertagen gegen die Deutschen, hat er die ganze Gasse dazu gebracht, sie gemeinsam aus Neapel zu vertreiben. Eine andere sagte, wenn es in einer Gasse jemanden wie Meister Errico gibt, lassen die Ganoven sich nicht
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