Montgomery & Stapleton 05 - Das Labor des Teufels
weiß?«
»Keine Ahnung. Vielleicht sollten Sie ihn fragen, wenn er zurückkommt. Die Anästhesisten bleiben nie lange bei einem Notfall. Sie schauen nur kurz rein, falls sie den Patienten zufällig intubieren müssen, oder wenn sie schon intubiert sind, um zu prüfen, ob alles richtig gemacht wurde.«
»Danke, dass Sie sich etwas Zeit genommen haben.« Roger blickte sich ein letztes Mal im Aufenthaltsraum um. »Ich muss schon sagen, die anderen scheinen ja nicht so freundlich zu sein wie Sie.«
»Wie gesagt, wir haben alle unsere Macken, aber wenn Sie regelmäßig herkämen, würden Sie merken, dass die Leute ganz in Ordnung sind.«
Roger lächelte ihr noch einmal zu, bevor er zum Fahrstuhl hinausging. Als er den Knopf drücken wollte, hielt er mitten in der Bewegung inne. Sein Besuch in der OP-Abteilung war nicht besonders ergiebig gewesen. Von den beiden Anästhesisten konnte er immer noch keinen von der Liste der möglichen Verdächtigen streichen.
Welche Auswahl hatte er für den nächsten Versuch? Er konnte auf dem zweiten Stock bleiben und in der Apotheke nachschauen, ob er etwas über Herman Epstein herausfinden würde, der von der Nachtschicht im St. Francis ins Manhattan General gewechselt war. Er könnte hinunter in den ersten Stock ins Labor gehen und sich über die beiden Laborangestellten erkundigen, die auf seiner Liste standen. Er könnte hinunter ins Erdgeschoss zur Sicherheitsabteilung fahren oder auch in den Keller zu den Leuten von der Hauswirtschaft und Wartung, wo auch jeweils ein Mitarbeiter rübergewechselt hatte. Doch irgendwie war ihm klar, dass er mit seinen detektivischen Fähigkeiten nichts herausfinden würde. Sein kurzes Gespräch mit José hatte deutlich gemacht, dass er nicht einmal wusste, welche Fragen er stellen musste, außer vielleicht: »Sind Sie ein Serienmörder, der während der Nachtschicht Patienten umbringt?« Lauries Idee war theoretisch gut, nur gab es zu viele Verdächtige. Alle diejenigen, die das Krankenhaus gewechselt hatten, hatten aufgrund ihres jeweiligen Aufgabenfeldes Zugang zu allen Abteilungen im Krankenhaus.
Der Gedanke, jemanden direkt zu fragen, ob er oder sie ein Serienmörder wäre, entlockte Roger ein Lächeln. Es war nicht schwer, zu erraten, dass er mit einer solchen Frage seinen Ruf ruinieren und eine Kündigung riskieren würde. Es war drei Uhr morgens. Obwohl die Wirkung des Kaffees langsam nachließ, war er so aufgedreht, dass er auf keinen Fall schlafen könnte, wenn er jetzt nach Hause ginge.
Voller Elan drückte Roger den Knopf, um nach oben zu fahren. Er hatte beschlossen, der Allgemeinchirurgie einen Besuch abzustatten, deren Stationsschwester man ausgeraubt und umgebracht hatte und wo vier der sieben Todesfälle eingetreten waren. Er nahm sich auch vor, einen Blick in die Orthopädie und die Neurochirurgie im vierten Stock zu werfen, wo es zwei Todesfälle gegeben hatte. So hoffte er, ein Gefühl für die Umgebung und die Schauplätze zu bekommen.
Wie er schon vermutet hatte, herrschte nachts in der Chirurgie eine völlig andere Stimmung als am Tag – statt geordnetem Chaos empfing ihn unerwartete und trügerische Ruhe. Auch das Licht war anders, weniger grell als tagsüber. Niemand begegnete ihm, als er vom Fahrstuhl zur Schwesternstation ging. Es war wie bei einer Feuerübung, nachdem alle aus dem Gebäude gerannt waren.
An der Schwesternstation ließ er seinen Blick über die Monitore mit den EKGs und Pulsfrequenzen aller Patienten schweifen. Die moderne Drahtlostechnik machte es möglich, dass die Überwachungsdaten praktisch überall zur Verfügung standen. Dumm nur, wenn niemand da war, der die Monitore im Auge behielt.
Roger blickte den Flur in beide Richtungen entlang. Der Boden glänzte im Halbdunkel. In diesem Moment quietschte irgendwo verräterisch ein Stuhl. Neugierig ging Roger um die Schwesternstation herum zu einer offenen Tür, die in einen Materialraum mit eingebautem Schreibtisch und einem Kühlschrank führte. Am Schreibtisch saß eine Krankenschwester und hatte die Füße hochgelegt. Ihre leicht asiatischen Gesichtszüge fand Roger sehr ansprechend, sie erinnerten ihn an seine Zeit im Fernen Osten. Dazu passend hatte sie dunkle Augen und dunkles, kurz geschnittenes Haar, und unter ihrem Overall schien sich ein harter, wohl geformter Körper zu verbergen.
»’n Abend«, grüßte Roger und stellte sich vor. Dass die Frau eine Waffenzeitschrift las, hielt er für leicht unangebracht.
»Was gibt’s?«, fragte
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