Montgomery & Stapleton 05 - Das Labor des Teufels
die Krankenschwester, ohne die Füße vom Schreibtisch zu nehmen.
Roger lächelte im Stillen. Er erinnerte sich an die noch gar nicht so lang zurückliegende Zeit, als Krankenschwestern den Ärzten voller Ehrerbietung, ja schon eingeschüchtert gegenübergetreten waren, und das selbst in den Vereinigten Staaten. Diese hier war das genaue Gegenteil.
»Ich will nur mal schauen, wie es läuft«, antwortete Roger. »Ich weiß, dass Sie gestern Morgen die Stationsschwester auf tragische Weise verloren haben. Das tut mir Leid.«
»Kein Problem. Eigentlich war sie als Stationsschwester gar nicht so gut.«
»Wirklich?«, fragte Roger nach. Diese Frau schien merkwürdig wenig Einfühlungsvermögen zu besitzen. Diese gehässige Unverblümtheit einem Fremden gegenüber entsprach kaum dem Normalen, egal, ob es stimmte, was sie sagte, oder nicht. Er las ihr Namensschild: Jasmine Rakoczi. Er erinnerte sich, dass sie auf seiner Liste stand.
»Ich nehme Sie nicht auf den Arm. Sie war seltsam, und niemand hat sie so richtig gemocht.«
»Tut mir Leid, das zu hören, Ms Rakoczi«, meinte Roger. Er lehnte sich gegen den Schreibtisch und verschränkte die Arme. »Hat Clarice Hamilton eine neue Stationsschwester bestimmt?«
»Noch nicht. Wir haben zur Überbrückung eine Zeitarbeitskraft, aber die ist genauso brummig. Ich habe so ein bisschen die Verantwortung übernommen und die Patienten zugeteilt. Jemand muss das ja tun, wenn die anderen nur rumsitzen und Däumchen drehen. Jedenfalls läuft es ganz gut.«
»Freut mich, das zu hören. Ms Rakoczi, ich würde Sie gern was fragen.«
»Sagen Sie Jazz zu mir. Auf Ms Rakoczi reagiere ich nicht.«
»Ich nehme an, Sie haben mitbekommen, dass auf dieser Station während der letzten fünf Wochen vier junge, scheinbar gesunde Patienten innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach ihren Operationen gestorben sind. Der letzte Fall ist vergangene Nacht eingetreten.«
»Natürlich. Es wäre ja wohl schwierig, so etwas nicht mitzukriegen.«
»Stimmt. Waren Sie deswegen beunruhigt?«
»Wie meinen Sie das?«
Roger zuckte mit den Schultern. Die Frage schien doch eindeutig zu sein. »Haben diese Fälle Sie psychisch belastet?«
»Nein, eigentlich nicht. Das hier ist ein großes Krankenhaus. Da sterben schon mal Menschen. Man muss sich seelisch distanzieren. Wenn man das nicht tut, dreht man durch, und dann leiden die anderen Patienten darunter. Ihr da oben sitzt in euren schicken Büros und wisst gar nicht mehr, wie es hier unten in den Schützengräben zugeht, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Ich denke schon.« Roger hatte eine Veränderung bei der Krankenschwester festgestellt. Anfangs war sie locker gewesen, doch jetzt war sie wachsam und angespannt, fast schon wütend.
»Fragen Sie mich das, weil die Todesfälle auf meiner Station passiert sind?«
»Ja, sicher.«
»Es gab auf anderen Stationen ähnliche Todesfälle.«
»Das weiß ich.«
»Es gab sogar einen heute Nacht, erst vor einer halben Stunde, oben in der Gynäkologie. Warum löchern Sie nicht die da oben mit Ihren Fragen?«
Rogers ganzer Körper spannte sich an, was er dem Kaffee zuschrieb. Nachdem seine Euphorie verflogen war, hatte er den Eindruck, seine Nerven lägen blank. Von einem weiteren Todesfall zu erfahren, der eingetreten war, während er hier im Krankenhaus nach Verdächtigen suchte, verursachte ihm ein schlechtes Gewissen, als hätte er in der Lage sein müssen, das zu verhindern. »Entsprechen die persönlichen Daten ungefähr denjenigen aus den anderen Fällen?«, fragte er in der Hoffnung auf ein Nein.
»Soweit ich gehört habe, ja«, versicherte ihm Jazz. »Soll eine Frau über dreißig gewesen sein, Entfernung der Gebärmutter. Ehrlich, warum gehen Sie nicht hoch und fragen die Schwestern und Pfleger, ob sie sich Sorgen machen?«
Einen Moment lang blickte Roger diese exotisch wirkende Frau an, die er eigentlich für attraktiv und ziemlich sexy gehalten hatte. Sie blickte unverfroren zurück. Jetzt kam sie ihm schon fast unheimlich vor und erinnerte ihn an Dr. Cabreo und Dr. Najah. Ihm fiel auch ein, dass Cindy gesagt hatte, alle Leute, die in der Nachtschicht arbeiteten, hätten eine Macke. Vielleicht war der Ausdruck »Macke« für diese Frau hier zu schwach. »Neurotisch« würde besser passen. Ob wohl alle Leute auf seiner Liste so seltsam waren? Wie dem auch sei, er würde Rosalyn auf jeden Fall dazu bringen müssen, die persönlichen Akten zu den Mitarbeitern zu beschaffen, die vom St. Francis ins
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