Montgomery & Stapleton 05 - Das Labor des Teufels
ihren Abgang mit ausdruckslosen Gesichtern. Laurie konnte sich nicht vorstellen, was sich die Lauscher zu dem zusammenreimten, was sie mitgehört hatten. Sie war froh, einen leeren Fahrstuhl zu erwischen, um sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Wie sie bereits zu Riva gesagt hatte, war sie derzeit äußerst dünnhäutig. Unter normalen Umständen hätte sie Calvins barsche Abfuhr problemlos weggesteckt. Doch wegen Calvins Reaktion sowie der von Jack und Riva fühlte sie sich wie eine moderne Kassandra. Sie konnte nicht glauben, dass Menschen, die sie respektierte, nicht sahen, was ihr so deutlich vor Augen stand.
In ihrem Büro ließ sie sich auf ihren Stuhl fallen und legte das Gesicht in ihre Hände. Sie war am Ende, brauchte weitere Informationen, war aber praktisch gelähmt, weil sie warten musste, bis die Krankenakten aus dem Manhattan General auf dem üblichen Weg bei ihr eintrafen. Es gab keine Möglichkeit, den Vorgang zu beschleunigen. Obendrein musste sie warten, bis Peter sein Zauberkunststück mit dem Gaschromatographen und dem Massenspektrometer beendet hatte. Wenn nicht am nächsten Tag ein ähnlicher Fall reinkommen würde – was Laurie nicht hoffte –, konnte sie nur Däumchen drehen.
»Ich nehme an, dein Gespräch mit Calvin ist nicht so günstig verlaufen, wie du gehofft hast«, mutmaßte Riva.
Laurie gab keine Antwort. Sie war sogar noch gereizter als vorher. Seit ihrer Kindheit suchte sie Bestätigung bei Autoritätspersonen, und wenn sie die nicht bekam, ging es ihr schlecht. Calvins Reaktion war ein typisches Beispiel dafür und gab ihr das Gefühl, dass ihr Leben sich in seine unterschiedlichen Stränge aufzufasern begann. Dazu gehörte als Erstes die Sache mit Jack, dann ihre Mutter und das BRCA1-Problem, und jetzt schien selbst bei ihrer Arbeit das Chaos ausgebrochen zu sein. Und bei alldem kam noch hinzu, dass sie zwei Nächte hintereinander zu wenig geschlafen hatte und erschöpft war.
Laurie seufzte. Sie musste sich zusammenreißen. Das BRCA1-Problem erinnerte sie daran, dass sie mit Jack vereinbart hatte, ihre alte Mitbewohnerin Sue Passero anzurufen, um sich auf den Marker hin testen zu lassen. Eigentlich hatte sie sich noch nicht ganz entschieden gehabt, ob sie den Test durchführen lassen sollte, sodass sie eher wegen seiner Hartnäckigkeit eingewilligt hatte. Doch auf einmal fand sie den Gedanken gar nicht so schlecht, ein paar Stunden Pause vom Institut zu haben. Damit konnte sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Sie kannte Sue ziemlich gut und würde sich von ihr nicht nur testen lassen, sondern mit ihr auch über ihre Vermutung reden, dass vielleicht ein Serienmörder sein Unwesen trieb. Damit hätte das Krankenhaus die Möglichkeit, die Augen aufzuhalten, ohne Laurie oder das Gerichtsmedizinische Institut als Quelle nennen zu müssen.
Laurie suchte Sues Nummer heraus und rief sie an. Auf dem College und der Uni waren sie eng befreundet gewesen, und da sie in derselben Stadt arbeiteten, trafen sie sich einmal im Monat zum Essen. Sie schworen sich immer, sich öfter zu sehen, aber irgendwie klappte es nie.
Am anderen Ende meldete sich eine der Sekretärinnen, die für Sue zuständig waren. Laurie fragte, ob sie mit Sue sprechen könne. Eigentlich hatte sie lediglich beabsichtigt, eine Nachricht zu hinterlassen, damit Sue zu einem günstigeren Zeitpunkt zurückrufen könnte, doch als die Sekretärin hörte, wer dran war, wurde sie in die Warteschleife gelegt, ohne Zeit zu einer Erklärung zu haben. Kurz darauf war Sue in der Leitung.
»Das ist aber eine nette Überraschung«, meldete sie sich fröhlich. »Was ist los?«
»Hast du kurz Zeit zum Reden?«
»Kurz, ja. Was ist los?«
Laurie erzählte, dass sie sich auf den BRCA1-Marker testen lassen wolle, ohne jetzt näher auf die Gründe einzugehen. Zudem sei sie jetzt bei AmeriCare versichert, habe sich aber noch nicht um einen Hausarzt kümmern können.
»Kein Problem. Komm her, wann du willst. Ich kann dir eine Überweisung ausstellen, mit der du dann runter ins Labor gehst.«
»Wie wär’s gleich heute?«
»Heute ist gut. Komm ruhig her. Hast du schon Mittag gegessen?«
»Noch nicht.« Laurie lächelte. Das wären schon drei Fliegen mit einer Klappe!
»Na, dann los, schaff deinen Hintern hier rüber, Mädchen! Über das Kantinenessen hier sollte man zwar lieber kein Wort verlieren, aber deine Gesellschaft wird mir gut tun.«
Laurie legte auf und nahm ihren Mantel von der Tür.
»Ich glaube, du tust das
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