Montgomery & Stapleton 05 - Das Labor des Teufels
Test positiv oder negativ ausfallen? Sie fühlte sich wie bei einem Glücksspiel, und Glücksspiele hatte sie noch nie gemocht. Hätte Jack nicht darauf bestanden, hätte sie den Test höchstwahrscheinlich bis auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Doch jetzt war sie hier, würde sich Blut abnehmen lassen und die Sache wieder verdrängen, eine Handlungsweise, die sie von ihrer Mutter hatte.
Nach der Blutabnahme, einer trügerisch einfachen Angelegenheit, ging Laurie ins Erdgeschoss zurück und stellte sich vor der Hauptinformation in die Schlange. Sie hatte keine Ahnung, wo sich in diesem riesigen Gebäude die Kantine befand. Als sie an der Reihe war, fragte die Praktikantin in ihrem rosa Kittel, ob Laurie die Hauptcafeteria oder die Mitarbeiterkantine suche. Nach kurzem Überlegen entschied sich Laurie für die Mitarbeiterkantine.
Die Wegbeschreibung klang kompliziert, doch der letzte Hinweis machte die Sache wieder einfach: Laurie sollte der roten Linie auf dem Boden folgen. Fünf Minuten später hatte sie ihr Ziel erreicht. Um Viertel nach zwölf schien die Kantine aus den Nähten zu platzen. Laurie hatte keine Ahnung gehabt, dass im Manhattan General so viele Menschen arbeiteten. Und das hier waren ja nur die aus einer von drei Schichten und davon nicht einmal alle.
Laurie blickte sich in der Menge an den Tischen und vor der Essenausgabe um. Das Stimmengewirr erinnerte sie an den Lärm in einem Feuchtbiotop an einem späten Sommerabend. Laurie verlor die Hoffnung, Sue hier zu finden. Sich mit ihr an Silvester auf dem Times Square zu verabreden, wäre ähnlich erfolgversprechend gewesen.
Genau in dem Moment, als Laurie zu einer der Kassen gehen und nach einem Haustelefon fragen wollte, um Sue anpiepsen zu lassen, tippte ihr jemand auf die Schulter. Es war Sue, die sie gleich in die Arme schloss. Laurie kam sich neben dieser großen, athletischen schwarzen Frau, die auf dem College Fußball und Softball gespielt hatte, winzig vor. Sue sah wie immer hervorragend aus. Sie war, anders als die meisten ihrer Kolleginnen, schick in fließende Seide gekleidet, über der sie einen kräftig gestärkten weißen Kittel trug. Genauso wie Laurie unterstrich sie ihre Weiblichkeit gern durch ihre Kleidung.
Sue deutete auf die Essenausgabe. »Ich hoffe, du hast keinen Hunger mitgebracht. Aber Spaß beiseite! – Das Essen ist gar nicht so schlecht.«
Als sie die Essenausgabe entlanggingen und auswählten, zogen sie sich gegenseitig über ihre jeweilige Arbeit auf. An der Kasse erkundigte sich Laurie nach Sues Kindern. Sue, die gleich nach dem Studium geheiratet hatte, hatte einen fünfzehnjährigen Jungen und ein zwölfjähriges Mädchen. Laurie konnte ihren Neid nicht unterdrücken.
»Außer dass die Pubertät voll zuschlägt, klappt alles bestens«, berichtete Sue. »Was ist mit dir und Jack? Siehst du schon Licht am Ende des Tunnels? Mir kommt es so vor, als müsstest du mal etwas Dampf machen, Mädchen! Zufällig weiß ich, dass du dich an die Dreiundvierzig ranschleichst, weil ich dir dicht auf den Fersen bin.«
Laurie spürte, dass sie rot im Gesicht wurde, und ärgerte sich gleichzeitig, dass sie nicht in der Lage war, ihre Gefühle zu verbergen. Sue hatte es gemerkt, und da sie beide seit fast sechsundzwanzig Jahren miteinander befreundet waren, hatte Laurie ihr vor allem in den letzten zwei Jahren von ihrem Wunsch nach Kindern und von der Situation mit Jack erzählt. Sue würde sich nicht mit Allgemeinplätzen zufrieden geben.
»Die Sache mit Jack ist vorbei«, erzählte Laurie, die entschieden hatte, offener zu sein, als sie sich eigentlich fühlte. »Zumindest was das Bett angeht.«
»Nein! Was stimmt denn mit dem Kerl nicht?«
Laurie runzelte die Stirn und zuckte mit den Schultern, um zu sagen, dass sie auch keine Ahnung hatte. In ihrem jetzigen Zustand wollte sie sich nicht auf ein ausgiebiges Gespräch über Gefühle einlassen.
»Na dann … den wärst du los. Du warst mit diesem unentschiedenen Trottel mehr als geduldig. Du hast dir eigentlich eine Wohltätigkeitsmedaille verdient, aber ändern wird er sich nie.«
Laurie nickte, musste sich aber zwingen, Jack nicht zu verteidigen, auch wenn Sue Recht hatte.
Sue bestand darauf, Laurie einzuladen und das Mittagessen auf ihr Hauskonto schreiben zu lassen. Mit den Tabletts in den Händen gingen sie zu einem freien Zweiertisch am Fenster mit Blick auf einen Innenhof und einen leeren Springbrunnen. Im Sommer blühten hier die Blumen, und das Wasser
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