Montgomery & Stapleton 08 - Die Hand des Bösen
müssten. Glaube ich zumindest nicht.«
»Vielleicht handelt es sich ja um eine Verwechslung?«
Jennifer senkte den Blick, schüttelte den Kopf und stieß ein freudloses Lachen aus. »Mein Gott, das, was ich gemacht habe, rechtfertigt doch niemals einen Mord. Niemals. Falls es keine Verwechslung war, dann war’s das, dann verschwinde ich von hier. Granny hin oder her.«
»Bist du sicher, dass nicht vielleicht doch jemand sehr, sehr wütend auf dich sein könnte?«
»Die Patientenbetreuerin meiner Großmutter, aber das ist ihr verdammter Job. Deshalb bringt man doch niemanden um.«
»So oder so, du hast jedenfalls ganz schön Glück gehabt, dass dieser Zivilpolizist in der Nähe war.«
»Da hast du vollkommen recht«, erwiderte Jennifer. »Komm mit! Reden wir mit dem Kerl. Vielleicht weiß er ja etwas. Womöglich hat er sogar diesen anderen Kerl beschattet. Vielleicht können sie jetzt, wo er tot ist, auch feststellen, ob er mir gefolgt ist oder nicht. Es ist einen Versuch wert. Kann doch sein, dass wir ein paar Antworten bekommen.«
Neil hielt Jennifer zurück. »Das würde ich dir nicht raten.«
»Wieso denn nicht?«, wollte Jennifer wissen und machte sich von Neil los.
»Als ich während dieses Ärztekongresses hier war, da habe ich von meinen Gastgebern eine Menge über die indische Regierung und die indische Polizei gehört. Am besten hat man mit allen beiden möglichst wenig zu tun, es sei denn, es ist absolut unumgänglich. Korruption gehört hier ganz selbstverständlich mit zum Lebensstil. Da gelten nicht die gleichen moralischen Maßstäbe wie im Westen. Sobald man mit den Behörden zu tun bekommt, muss man bezahlen. Das indische CBI, das vergleichbar ist mit unserem FBI, soll diesbezüglich zwar eine Ausnahme sein, aber in diesem Fall hättest du mit der normalen Ortspolizei zu tun. Wer weiß, vielleicht wollen sie dich sogar ins Gefängnis stecken, weil du jemanden provoziert hast, eine Waffe zu ziehen.«
»Red doch keinen Quatsch«, sagte Jennifer und dachte, Neil hätte sich einen Scherz erlaubt. Dann fing sie an, zum Schauplatz der Ereignisse zurückzugehen. »Du übertreibst maßlos.«
»Ich übertreibe ein bisschen«, gab Neil zu und war mit ein paar schnellen Schritten neben ihr. »Aber dass die Ortspolizei bis zu einem gewissen Grad korrupt ist, das weiß wirklich jeder, glaub mir. Das gilt übrigens auch für die meisten Beamten. Das Beste ist es, wenn man nichts mit ihnen zu tun hat. Wenn du ein Verbrechen anzeigen willst, dann müssen sie ein FIR-Formular ausfüllen, einen sogenannten First Information Report, und das natürlich in fünf Millionen Ausfertigungen. Das bedeutet Arbeit, und sie hassen die Arbeit, und darum hassen sie auch dich.«
»Aber da wurde ein Mann umgebracht. Also müssen sie auch ein FIR-Formular ausfüllen.«
»Ja, schon, aber das ist dann sein FIR.«
»Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass er irgendwie hinter mir hergewesen sein muss.«
»Kann sein, kann aber auch nicht sein«, meinte Neil. »Ich sag’s dir: Das ist ein Risiko. Ich habe damals jedenfalls den unmissverständlichen Rat bekommen, mich auf keinen Fall mit der Ortspolizei einzulassen.«
Es war schwierig, in der Menschenmasse nebeneinander zu gehen, zumal die Menge immer dichter wurde, je näher sie dem Tatort kamen. Neil ließ Jennifer den Vortritt. Plötzlich blieb sie stehen und drehte sich um. »Moment mal!«, sagte sie. »Diese Geschichte hier hat mich zwar ziemlich erschüttert, aber jetzt frage ich dich noch einmal: Was, in Gottes Namen, machst du eigentlich hier in Indien? Ich meine, die Frage beschäftigt mich schon länger, aber irgendwie war ich durch diesen Mordversuch ein bisschen abgelenkt.«
»Na, klar«, sagte Neil und überlegte, was er jetzt sagen sollte. Wenn er nicht so aufgeregt gewesen wäre, dann hätte er ihr ganz ehrlich antworten können und sich zunächst einmal entschuldigt. Er zuckte mit den Schultern und dachte: Was soll’s. »Ich bin hier, weil du mich gebeten hast, mitzukommen, und weil du angedeutet hast, dass du mich brauchst. In L.A. habe ich das nicht ganz so ernst genommen. Ich muss gestehen, dass ich da mit den Gedanken schon bei dem Surfer-Treffen war, das heute in La Jolla stattfindet. Und als du dann ohne jede Diskussion einfach rausmarschiert bist, da war ich sauer, und es hat eine Weile gedauert, bis ich nicht mehr sauer war, aber dann warst du schon weg.«
»Wann bist du angekommen?«, wollte Jennifer
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