Montgomery & Stapleton 08 - Die Hand des Bösen
wissen.
»Gestern Abend. Ich dachte, du schläfst vielleicht schon, und ich wollte dich daher nicht stören. Aber leider haben die vom Hotel mir deine Zimmernummer nicht verraten, also konnte ich auch nicht an deiner Tür lauschen.«
»Wieso hast du mich nicht vorher angerufen?«
»Ganz einfach«, erwiderte Neil mit einem kleinen selbstironischen Lachen. »Ich hatte Angst, du würdest mich sofort wieder nach Hause schicken. Ich meine, ich wusste ja nicht einmal, ob du überhaupt ans Telefon gehen würdest, und wenn ja, dann hätte es, nach allem, was ich von dir weiß, durchaus sein können, dass du mir einfach einen schnellen Tod wünschst, und Ende der Durchsage.«
»Schon möglich«, gab Jennifer zu. »Ich war wirklich wahnsinnig enttäuscht, das kann ich dir sagen.«
»Es tut mir leid, dass ich die ganze Situation und ihre Bedeutung damals nicht richtig eingeschätzt habe«, sagte Neil.
Nachdenklich kaute Jennifer auf der Innenseite ihrer Backe herum. Schließlich drehte sie sich um und schob sich durch die Menschenmenge. Die Fahrradrikscha lag immer noch umgekippt an Ort und Stelle. Auch die Leiche war noch da, unbedeckt. Mit der fehlenden Gesichtshälfte und den deutlich sichtbaren Zähnen sah es aus, als ob sie eine Grimasse zog.
»Da, sieh mal«, flüsterte Jennifer und deutete mit dem Kinn auf den abgemagerten Rikschafahrer. Er kauerte auf dem Boden, umgeben von mehreren Polizisten in Khaki-Uniformen.
»Siehst du, was ich meine!«, flüsterte Neil zurück. »Den armen Kerl haben sie wahrscheinlich festgenommen.«
»Meinst du wirklich?«
»Es würde mich nicht überraschen.«
»Ich finde, es sieht so aus, als ob der Kleine da der Chef ist. Was meinst du?«
Naresh Prasad sprach gerade mit ein paar uniformierten Polizisten, die um die Leiche herumstanden.
»Muss wohl so eine Art Kriminalpolizist oder was in der Art sein.«
»Meinst du wirklich, ich sollte nicht mit ihnen reden?«, fragte Jennifer.
»Lass es mich so ausdrücken: Was weißt du? Nichts. Du weißt nicht einmal, ob dieser Kerl dir vom Amal Palace Hotel aus gefolgt ist oder ob er dich erst hier gesehen und gedacht hat: Hey, da ist ja eine Millionärin aus dem Westen.«
»Lass doch den Blödsinn!«, schimpfte Jennifer.
»Du kannst es einfach nicht wissen. Das ist der Punkt. Die wissen es auch nicht. Falls du dich wirklich mit denen einlassen willst, dann erfährst du selber überhaupt nichts und trägst auch nichts zur Aufklärung bei. Wahrscheinlich kostet es dich bloß eine Stange Geld. Und außerdem kannst du dich immer noch morgen melden, falls du es dir anders überlegen solltest, oder von mir aus auch heute Nachmittag. Niemand wird dir unter diesen Umständen einen Vorwurf machen, dass du einfach abgehauen bist.«
»Also gut«, meinte Jennifer kurz. »Überredet, zumindest für den Moment. Gehen wir zurück ins Hotel. Ich glaube, ich brauche einen Drink oder so was. Ich bin immer noch ganz zitterig.«
»Gut so!«, sagte Neil. »Was wir aber irgendwann heute oder morgen machen könnten, ist, rüber zur amerikanischen Botschaft zu gehen und uns deren Meinung einzuholen. Wenn sie finden, du solltest ein FIR-Formular beantragen, dann machen wir das, weil wir dann nämlich die Unterstützung der Botschaft haben und die Polizei uns nicht mehr verarschen kann.«
»Einverstanden«, sagte Jennifer.
Der Menschenauflauf am Mordschauplatz blockierte den größten Teil der Gasse. Polizisten hielten vor der hinteren Hauswand einen schmalen Durchgang frei. Dazu hatten sie die Händler aufgefordert, alle Waren von der Straße zu nehmen. Jennifer und Neil mussten schon wieder im Gänsemarsch gehen.
Im Vorbeigehen warf Jennifer einen Blick auf die immer noch umgekippt daliegende Fahrradrikscha. Sie konnte auch erkennen, wo sie nach ihrem Sturz gelandet war. Schnell warf sie noch einmal einen Blick auf den Fahrer. Er wurde gezwungen, völlig regungslos dazusitzen, was im Prinzip Neil und seinem Vorschlag recht gab, sich nur bei einem absolut zwingenden Anlass an die Polizei zu wenden. Dann kamen sie an dem Polizisten in Zivilkleidung vorbei, wobei ihr Blick ihn kurz streifte. Sie erschrak. Der Polizist schaute ihr direkt ins Gesicht.
Ein paar Sekunden lang begegneten sich die Blicke von Jennifer und Inspektor Naresh Prasad, dann wandte sie sich verunsichert ab.
»Sieh nicht hin«, sagte Jennifer mit leiser Stimme über die Schulter, »aber dieser kleine Polizist da hat mich angestarrt.«
»Jetzt lass uns mal nicht paranoid
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