Montgomery & Stapleton 10 - Testphase
bedeutete: Dass ein Mensch kaltblütig ermordet wurde und dass sie beide, Brennan und Carlo, Komplizen der Mörder waren!
Während der nächsten Minute wurde weitere dreimal geschossen, womit Brennans und Carlos Angst und Angespanntheit ins Unendliche wuchsen. Das Problem war, dass keiner von ihnen wusste, was sie tun sollten, oder genauer: was ihr Boss, Louie Barbera, von ihnen erwartete. Würde er wollen, dass sie blieben und damit riskierten, geschnappt und als Komplizen angeklagt zu werden, oder sollten sie eher so schnell wie möglich von hier verschwinden, um nicht die komplette Vaccarro-Organisation in Gefahr zu bringen? Da sie auf diese Frage unmöglich eine Antwort finden konnten, blieben sie wie eingefroren sitzen, bis Carlo plötzlich den Einfall hatte, einen Notruf an Barbera zu starten.
Carlos unvermittelte Handbewegung zum Handy ließ Brennan erneut zusammenzucken. »Mein Gott!«, beschwerte er sich. »Kannst du mich nicht vorwarnen?«
»’tschuldigung«, sagte Carlo. »Ich muss mit Louie sprechen. Er muss darüber Bescheid wissen, was hier passiert. Das ist doch abgedreht!« Carlo war so mit dem Wählen der Nummer beschäftigt, dass er nicht einmal merkte, dass Brennan ihm auf die Schulter tippte, bis dieser dabei den Druck fast zum Schlag erhöhte.
»Sie kommen raus!«, sagte Brennan gepresst und deutete durch die Scheibe an seiner Seite.
Carlo sah hinüber. Susumu und Yoshiaki sausten die Verandastufen hinunter und rasten auf den parkenden Denali zu, über ihren Schultern hingen beladene Kopfkissenbezüge. Carlo klappte sein Telefon im selben Moment zu, in dem die Männer das Auto erreichten und sich auf die Rückbank warfen. Keiner sprach auch nur eine Silbe, als Brennan den Gang einlegte und losfuhr. Er ließ sich fast einen ganzen Block Zeit, bevor er die Scheinwerfer einschaltete.
Brennan und Carlo schwiegen für die nächsten zehn Minuten, wohingegen die beiden Männer auf der Rückbank eine immer lebhafter werdende Unterhaltung auf Japanisch führten. Offensichtlich waren sie mit dem, was im Haus geschehen war, nicht zufrieden. Als sie die George-Washington-Brücke erreichten, war Carlo entspannt genug, um zu sprechen.
»Ist etwas schiefgelaufen?«, fragte er. Er bemühte sich, dabei ganz uninteressiert zu klingen.
»Wir haben nach Laborberichten gesucht, konnten sie aber nicht finden«, sagte Yoshiaki.
»Oh, das ist schade«, erwiderte Carlo. »Wir hatten den Eindruck, wir hätten ein paar Schüsse gehört. Stimmt das?«
»Ja. Sechs Personen befanden sich im Haus. Mehr, als wir erwartet hatten.«
Carlo und Brennan tauschten einen besorgten Blick aus. Ihre Intuition sagte ihnen, dass Louie ziemlich überrascht sein würde, aber nicht positiv.
1
25. März 2010
Donnerstag, 05.25 Uhr
Laurie Montgomery rollte sich auf die Seite, um auf ihren Wecker zu schauen. Es war kurz vor halb sechs Uhr morgens, der Wecker würde erst in einer guten halben Stunde klingeln. Unter normalen Umständen hätte sie sich darüber gefreut, sich noch einmal umgedreht und weitergeschlafen. Ihr ganzes Leben lang war sie ein unverbesserlicher Nachtschwärmer gewesen, der nicht in den Schlaf fand und umso mehr Schwierigkeiten hatte, am nächsten Morgen aufzuwachen. Aber dies waren keine normalen Umstände. Heute würde ihr erster Arbeitstag nach einer unerwartet langen Elternzeit sein, die fast zwanzig Monate gedauert hatte.
Nach einem raschen Blick auf ihren fest schlafenden Ehemann, Jack Stapleton, zog Laurie ihre Beine leise unter der Daunendecke hervor und stellte ihre nackten Füße auf den eiskalten Holzboden. Sie dachte kurz darüber nach, lieber wieder ins warme Bett zu schlüpfen. Aber sie widerstand der Versuchung, raffte Jacks T-Shirt enger um ihre Mitte zusammen und eilte leise ins Badezimmer. Das Problem war, dass sie auf keinen Fall wieder einschlafen konnte, weil viele verschiedene Gedanken bereits in ihrem Kopf kreisten. Ihre Rückkehr in die Arbeitswelt verursachte widersprüchliche Gefühle in ihr und wühlte sie sehr auf. Ihre Hauptsorge galt ihrem gut anderthalb Jahre alten Sohn, John Junior, und ob es seinen Bedürfnissen angemessen war, ihn für ihre bisweilen doch sehr langen Arbeitstage in der Obhut einer Kinderfrau zu lassen. Außerdem plagte sie ihre ganz persönliche Unsicherheit nach ihrer unvorhergesehen langen Pause: Würde sie noch immer über ausreichend fachliche Kompetenz verfügen, um ihren Job als Forensikerin in dem renommiertesten Institut des Landes, wenn nicht
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