Montgomery u Stapleton 03 - Chromosom 6
stopfte mehr Geldscheine als nötig durch die Plexiglas-Trennwand im Taxi und sprang aus dem Wagen. Er hatte sich bis vor Lauries Haustür bringen lassen; es war kaum eine Stunde her, daß er sich hier von ihr verabschiedet hatte. Ohne eine Sekunde zu verlieren, stürmte er in seinem Basketball-Outfit zur Klingel und wurde sofort hereingelassen. Laurie erwartete ihn vor dem Fahrstuhl auf ihrer Etage.
»Mein Gott!« rief Jack. »Was ist denn mit deiner Lippe passiert?«
»Die kommt schon wieder in Ordnung«, erwiderte Laurie gefaßt. Als sie jedoch bemerkte, daß Debra Engler durch ihren Türspalt lugte, platzte ihr der Kragen. Mit einem Satz stürzte sie auf die Tür ihrer Nachbarin zu und schrie sie an, daß sie sich um ihren eigenen Dreck scheren solle. Die Tür wurde blitzschnell zugezogen.
Jack legte seinen Arm um Laurie, um sie zu beruhigen, und führte sie in die Wohnung.
»Und jetzt erzähl mir mal, was passiert ist«, forderte er sie auf, nachdem er sich neben ihr auf dem Sofa niedergelassen hatte.
»Sie haben Tom umgebracht«, wimmerte Laurie. Nach ihrem anfänglichen Schock hatte sie bitterlich um ihre Katze geweint, doch bis Jack endlich bei ihr gewesen war, waren ihre Tränen schon wieder halbwegs versiegt.
»Wer?« wollte Jack wissen.
Laurie wartete, bis sie sich ein wenig beruhigt hatte. »Es waren zwei, aber ich kannte nur einen von ihnen«, begann sie. »Der, den ich kannte, hat mich geschlagen und Tom umgebracht. Er heißt Angelo und ist der Typ, der mir seit Jahren Alpträume bereitet. Während der Cerino-Geschichte hatte ich einen furchtbaren Zusammenstoß mit ihm. Ich dachte natürlich, er wäre noch im Gefängnis. Wieso er schon wieder auf freiem Fuß ist, ist mir ein völliges Rätsel. Wenn man ihn sieht, bekommt man das Grausen. Sein Gesicht ist aufgrund seiner Verbrennungen völlig entstellt, und ich bin sicher, daß er mich dafür verantwortlich macht.«
»Dann wollten sich die Typen also bei dir rächen?« mutmaßte Jack.
»Nein«, entgegnete Laune. »Sie wollten mich warnen. Sie haben gesagt, ich soll damit aufhören, ›in der Franconi-Sache herumzustochern‹.«
»Ich bin fassungslos«, brachte Jack hervor. »Ich bin doch derjenige, der in dem Fall recherchiert - und nicht du.«
»Du hattest mich ja gewarnt«, fuhr Laurie fort. »Offenbar habe ich die falschen Leute gegen mich aufgebracht, indem ich versucht habe, herauszufinden, wie Franconis Leiche aus unserem Institut entführt wurde. Wahrscheinlich habe ich sie mit meinem Besuch im Spoletto Funeral Home in Aufruhr versetzt.«
»Aber so etwas habe ich beim besten Willen nicht vorausgesehen, als ich dich vor dem Fall gewarnt habe«, entgegnete Jack. »Ich wollte nicht, daß du Ärger mit Bingham bekommst - an die Mafia habe ich bestimmt nicht gedacht.«
»Sie haben mir ihre Warnung unter dem Deckmantel präsentiert, daß wir uns gegenseitig einen Gefallen tun«, erklärte Laurie. »Der Gefallen, den sie mir erwiesen haben, bestand darin, mir zu verraten, wer Franconi ermordet hat. Sie haben mir den Namen sogar aufgeschrieben.« Sie nahm den Zettel vom Tisch und reichte ihn Jack.
»Vido Delbario«, las Jack laut und sah dann wieder in Lauries zerschundenes Gesicht. Ihre Nase und ihre Unterlippe waren angeschwollen, die Partie um ihr Auge war gerade dabei, sich blau zu verfärben. »Dieser Fall war ja von Anfang an äußerst merkwürdig, aber jetzt scheint uns die Entwicklung offenbar völlig aus der Hand zu geraten. Am besten erzählst du mir die ganze Geschichte noch einmal von Anfang bis Ende.« Laurie berichtete ihm, was sich zwischen ihrem Betreten der Wohnung und ihrem Anruf bei ihm ereignet hatte. Sie erzählte ihm auch, warum sie sich lieber nicht an die Polizei gewendet hatte. Jack nickte.
»Verstehe«, sagte er. »Die Polizisten vom örtlichen Revier dürften uns in diesem Fall wohl auch kaum weiterhelfen können.«
»Was soll ich denn jetzt machen?« fragte Laurie, ohne eine Antwort zu erwarten.
»Ich sehe mir am besten mal deine Hintertür an«, schlug Jack vor.
Laurie führte ihn durch die Küche in die Speisekammer. »Du kommst mit zu mir«, stellte er dann klar. »Ich schlafe auf dem Sofa.«
Als Laurie ihm daraufhin tief in die Augen sah, fragte sie sich, ob sie diese spontane Einladung einzig und allein ihrer gefährdeten Situation zu verdanken hatte oder ob womöglich doch ein wenig mehr dahintersteckte.
»Pack deine Sachen zusammen«, forderte er sie auf. »Und nimm gleich für mehrere Tage genug mit.
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