Montgomery u Stapleton 03 - Chromosom 6
Apothekenschränkchen gefunden hatte. »Glaubst du, die Bonobos sind so scheu, wie man sie kennt?« rief Melanie Kevin zu.
Kevin zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung!« schrie er zurück. »Wenn ja, dürfte es schwierig werden, sie aufzuspüren, und dann wäre all unsere Mühe umsonst gewesen.«
»Immerhin haben sie bis zu ihrer Aussetzung auf Isla Francesca im Freigehege des Tierkomplexes gelebt und dort hin und wieder auch mal einen Menschen zu Gesicht bekommen«, rief Melanie. »Ich glaube, unsere Chancen stehen ganz gut - solange wir nicht zu nahe an sie herangehen.«
»Sind Bonobos in freier Wildbahn denn scheu?« wollte Candace wissen.
»Sehr scheu sogar«, erwiderte Melanie. »So scheu wie Schimpansen. Oder sogar noch scheuer. Schimpansen, die noch nie mit Menschen in Berührung gekommen sind, lassen sich in der Wildnis nahezu unmöglich aufspüren. Sie sind äußerst ängstlich, und ihr Gehör und ihr Geruchssinn sind erheblich besser ausgeprägt als unsere Sinnesorgane. Es ist fast aussichtslos, sich ihnen zu nähern.«
»Gibt es in Afrika überhaupt noch wirklich unberührte Gebiete?« fragte Candace.
»Aber ja!« rief Melanie. »Von der äquatorialguinesischen Küste aus gesehen gibt es vor allem in Richtung Nordwesten noch riesige Gebiete absolut unberührten Regenwaldes. Und das auf einer Fläche von etwa zweieinhalb Millionen Quadratkilometern!«
»Fragt sich nur, wie lange der Urwald noch unberührt bleibt«, gab Candace zu bedenken.
»Das ist eine andere Geschichte«, seufzte Melanie.
»Wie wär’s, wenn ihr mir mal ein kühles Getränk reichen würdet?« forderte Kevin die beiden Frauen auf.
»Kein Problem!« rief Candace zurück, klappte die Styropor-Box auf und holte eine Dose heraus.
Zwanzig Minuten später drosselte Kevin erneut den Motor. Sie umrundeten die Ostspitze von Icla Francesca und nahmen jetzt Kurs in Richtung Norden. Die Sonne stand inzwischen noch höher, und die Hitze wurde schier unerträglich. Candace rückte die Kühlbox auf die Backbordseite, damit sie im Schatten stand.
»Da ist schon wieder ein Sumpfgebiet«, stellte sie fest. Kevin steuerte so nah wie möglich an die Küste heran. Der Sumpf schien eine ähnliche Ausdehnung zu haben wie der auf der Westseite der Insel. Auch hier begann der dichte Dschungel etwa hundert Meter hinter der Uferlinie. Als Kevin gerade losfluchen wollte, daß sie wieder in einer Sackgasse gelandet waren, tat sich in dem ansonsten undurchdringlichen Schilf plötzlich wie aus dem Nichts eine Öffnung auf. Kevin steuerte direkt auf die Öffnung zu und drosselte die Geschwindigkeit noch einmal. Das Boot tuckerte nur noch im Schrittempo dahin. Etwa zehn Meter vor der Einfahrt schaltete er auf Leerlauf und stellte den Motor dann ganz ab. Nachdem der tosende Lärm des Schiffsmotors erloschen war, herrschte absolute Stille.
»Mein Gott, klingeln mir die Ohren«, stöhnte Melanie. »Kann man da wohl durchfahren?« wandte sich Kevin an Candace, die wieder in den Bug gegangen war. »Schwer zu sagen«, erwiderte Candace.
Kevin umfaßte den Motor und kippte ihn nach vorn, so daß er nicht mehr im Wasser hing. Er wollte verhindern, daß sich die Meerespflanzen in den Propellerflügeln verhedderten.
Lautlos glitten sie in das Schilf hinein. Anfangs schabten die dicken Halme am Boot entlang, dann kam es zum Stehen. Kevin ging nach hinten und paßte auf, daß das angebundene Kanu nicht mit dem Heck des Bootes kollidierte. »Sieht so aus, als könnten wir uns da irgendwie hindurchschlängeln«, sagte Candace. Sie hatte sich auf eine der Sitzbänke gestellt und hielt sich am Dach fest, um über das hohe Schilf hinwegsehen zu können.
Kevin knickte einen Halm ab und brach ihn in mehrere Teile. Dann warf er die Halmstücke neben dem Boot ins Wasser und beobachtete sie. Sie trieben langsam, aber unaufhaltsam in die Richtung, auf die sie zusteuerten.
»Es scheint eine schwache Strömung zu geben«, stellte er fest. »Ich denke, das ist ein gutes Zeichen. Es ist wohl an der Zeit, unser Kanu zum Einsatz zu bringen.« Er zog das kleine Boot heran, bis es sich seitlich neben dem großen befand. Da das Kanu heftig hin und her schwankte, kostete es sie einige Mühe, mitsamt ihren Taschen und ihren Proviantpaketen in das kleine Boot umzusteigen. Kevin übernahm den Platz am Heck, während Candace sich im Bug niederließ. Melanie suchte sich ihren Platz in der Mitte, setzte sich jedoch nicht auf die Sitzbank, sondern hockte sich auf den Boden. Das Kanu war ihr
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