Montgomery u Stapleton 03 - Chromosom 6
begrüßten ihn mit einem kurzen »Hallo«. Schüchtern erwiderte er die Begrüßungen. Er kannte keinen dieser Menschen mit Namen. Eine weitere Doppeltür führte in den Hauptbereich des Gebäudes. Hier waren die Primaten untergebracht. Ein leicht muffiger Geruch hing in der Luft. Gelegentlich hallten Schreie und Gebrüll über den Flur. Durch die Türen mit Fenstern aus Drahtglas erhaschte Kevin hin und wieder einen Blick auf die großen Käfige, in denen die Affen eingesperrt waren. Außerhalb der Käfige liefen Männer in Overalls und Gummistiefeln herum, die mit Schläuchen hantierten.
Der Schimpansenflügel war einer der zahlreichen Trakte, die sich vom hinteren Bereich des Gebäudes bis in den Urwald hinein erstreckten, und hatte wie das Hauptgebäude drei Stockwerke. Als Kevin das Erdgeschoß betrat, änderte sich die Geräuschkulisse abrupt. Ein ohrenbetäubendes Durcheinander von lauten Rufen und wildem Gekreische erfüllte den Raum.
Kevin hämmerte gegen eine der Türen, bis von den Arbeitern im Overall einer auf ihn aufmerksam wurde. Er fragte den Mann nach Dr. Edwards und erfuhr, daß der Tierarzt sich in der Bonobo-Abteilung aufhalte.
Kevin fand schnell eine Treppe und stieg hinauf in den ersten Stock. Dabei ging ihm durch den Kopf, daß es schon ein kurioser Zufall war, daß Dr. Edwards sich ausgerechnet jetzt, da er nach ihm suchte, in der Bonobo-Abteilung aufhielt. Schließlich waren es genau die Bonobos gewesen, die ihn ursprünglich mit Dr. Edwards zusammengebracht hatten. Vor sechs Jahren hatte Kevin noch nie etwas von einem Bonobo gehört, doch das hatte sich schnell geändert, als man sie als die für sein GenSys-Projekt am besten geeigneten Versuchstiere ausgewählt hatte. Inzwischen wußte er, daß die Bonobos ziemlich einzigartige und außergewöhnliche Lebewesen waren. Sie gehörten zur Familie der Schimpansen, hatten jedoch eineinhalb Millionen Jahre lang in absoluter Isolation gelebt, und zwar inmitten eines im zentralen Zaire gelegenen fünfundsechzigtausend Quadratkilometer großen Abschnitts unberührten Regenwaldes. Anders als die Schimpansen lebten Bonobos in einer matriarchalischen Gesellschaftsordnung. Da die männlichen Tiere weniger aggressiv waren, waren Bonobos imstande, in größeren Gruppen zusammenzuleben. Manche Leute bezeichneten sie auch als Zwergschimpansen, doch das war nicht korrekt, denn zum einen wurden einige Bonobos durchaus größer als Schimpansen, andererseits gehörten sie nun einmal einer anderen Spezies an.
Kevin fand Dr. Edwards vor einem ziemlich kleinen klimatisierten Käfig, wo er gerade eine Hand durch die Gitterstäbe führte, um sich vorsichtig mit einem Bonobo-Weibchen bekannt zu machen.
Ein anderes Bonobo-Weibchen hockte an der Rückwand des Käfigs und ließ nervös die Augen zwischen den beiden Begrenzungen seiner neuen Behausung hin- und herhuschen. Kevin spürte, daß das Bonobo-Weibchen in Panik war. Dr. Edwards gab leise Rufe von sich; er versuchte, einen der zahlreichen Verständigungslaute der Bonobos und Schimpansen nachzuahmen. Er war relativ groß und überragte Kevin mit seinen eins achtundsiebzig um etwa zehn Zentimeter. Sein Haar war schneeweiß und stand in starkem Kontrast zu seinen dunklen Augenbrauen und Wimpern. Die scharf abgegrenzten Augenbrauen und seine Angewohnheit, ständig die Stirn zu runzeln, verliehen ihm einen permanent überraschten Gesichtsausdruck.
Kevin verharrte einen Augenblick und beobachtete die Szene. Das erkennbar harmonische Verhältnis, das zwischen Dr. Edwards und den Tieren herrschte, hatte Kevin schon bei seinem ersten Zusammentreffen mit dem Tierarzt schwer beeindruckt.
Er spürte, daß Dr. Edwards den geschickten Umgang mit den Tieren nicht irgendwann gelernt hatte, sondern daß ihm dieses Talent offensichtlich angeboren war.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte Kevin schließlich. Dr. Edwards zuckte erschrocken zusammen. Selbst der Bonobo stieß einen entsetzten Schrei aus und floh in den hinteren Teil des Käfigs.
»Tut mir leid«, entschuldigte sich Kevin. »Ich wollte Sie nicht erschrecken.«
Dr. Edwards lächelte und legte sich eine Hand auf die Brust. »Sie müssen sich nicht entschuldigen. Aber ich war gerade voll und ganz mit den Affen beschäftigt, ich habe Sie gar nicht kommen gehört.«
»Ich wollte Ihnen bestimmt keinen Schrecken einjagen, Dr. Edwards«, begann Kevin noch einmal, »aber ich…«
»Bitte, Kevin! Wie oft soll ich es Ihnen denn noch sagen? Ich heiße Bertram. Mein Gott
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