Montgomery u Stapleton 03 - Chromosom 6
Vorzugsbehandlung einiges kosten ließen, hatte Dr. Anderson zweifellos unter den Folgen der kostenorientierten Gesundheitspolitik zu leiden.
»Dann arbeiten hier sicher eine Menge Leute«, vermutete Raymond.
»Wir haben nur noch eine Arzthelferin«, erwiderte Mrs. Auchincloss. »Es ist heutzutage schwer, geeignetes Personal zu finden.«
Erzähl du nur, sagte sich Raymond im stillen. Eine Arzthelferin für vier Untersuchungszimmer - das bedeutete, daß Dr. Anderson in ernsthaften Schwierigkeiten stecken mußte. Doch Raymond hütete sich, das laut zu sagen. Statt dessen sah er sich in dem Raum um, musterte die teure Tapete und sagte: »Diese altehrwürdigen Praxen an der Park Avenue haben es mir schon immer angetan. Sie strahlen so eine Würde und Gelassenheit aus und erzeugen unweigerlich ein Gefühl des Vertrauens.«
»Ich bin sicher, daß unsere Patienten das genauso sehen«, sagte Mrs. Auchincloss.
Die Tür eines der Untersuchungszimmer ging auf, und eine ältere, mit Juwelen behangene Frau in einem Gucci-Kostüm kam in den Empfangsbereich. Sie war spindeldürr und hatte ihr Gesicht so oft liften lassen, daß ihr Mund zu einem verzerrten Dauergrinsen verzogen war. Hinter ihr war Dr. Waller Anderson aus dem Zimmer gekommen.
Er streifte Raymond mit einem kurzen Blick, während er seine Patientin an den Empfangstisch geleitete und Mrs. Auchincloss mitteilte, für wann sie der Patientin einen neuen Termin geben solle.
Raymond taxierte den Arzt. Er war groß und alles in allem eine recht gepflegte Erscheinung, für die Raymond sich auch selber hielt. Im Gegensatz zu ihm war Waller allerdings nicht braungebrannt. Sein Gesicht war eher fahl und gräulich. Er wirkte angespannt und hatte traurige Augen und hohle Wangen. Wie es Raymond schien, stand dem Mann ins Gesicht geschrieben, daß er schwere Zeiten durchmachte.
Nachdem er sich herzlich von seiner Patientin verabschiedet hatte, bedeutete Dr. Anderson Raymond, ihm zu folgen. Er führte ihn einen langen Flur entlang, von dem die Untersuchungszimmer abgingen. Am Ende des Flurs bat er Raymond in sein privates Büro und schloß, nachdem sie eingetreten waren, die Tür.
Er stellte sich freundlich vor, wirkte aber gleichzeitig deutlich reserviert. Dann nahm er Raymond Hut und Mantel ab und hängte beides sorgfältig in einen kleinen Schrank.
»Kaffee?« fragte er.
»Gerne«, erwiderte Raymond.
Als sie ein paar Minuten später beide ihren Kaffee hatten, begann Raymond, den Doktor zu umgarnen. Dr. Anderson saß an seinem Schreibtisch, er selbst hatte ihm gegenüber auf einem Stuhl Platz genommen.
»Gar nicht so einfach, in diesen Zeiten Arzt zu sein«, sagte Raymond.
Dr. Anderson gab einen Laut von sich, der entfernt einem Lachen ähnelte. Doch es war ziemlich offensichtlich, daß er alles andere als fröhlich war.
»Wir bieten Ihnen die Möglichkeit, Ihr Einkommen beträchtlich zu erhöhen und Ihre Praxis auf den neuesten Stand der Technik zu bringen«, sagte Raymond. »Damit werden Sie in der Lage sein, sich Ihre Patienten auszusuchen.«
Sein Auftritt bestand zum größten Teil aus einer vorbereiteten Rede, die er über die Jahre hinweg perfektioniert hatte.
»Handelt es sich bei diesem Angebot in irgendeiner Weise um etwas Illegales?« fragte Dr. Anderson. Er klang ernst, beinahe ein wenig gereizt. »Wenn ja, habe ich keinerlei Interesse.«
»Aber nein«, versicherte ihm Raymond. »Wir machen nichts Illegales. Wir legen lediglich Wert auf strengste Vertraulichkeit. Wie Sie bei unserem Telefonat versprochen haben, werden Sie niemandem gegenüber etwas über unser Gespräch erzählen. Dr. Daniel Levitz natürlich ausgenommen.«
»Nur soweit ich mich durch mein Schweigen nicht strafbar mache«, widersprach Dr. Anderson. »Ich will mich schließlich nicht der Beihilfe schuldig machen.«
»Da brauchen Sie sich wirklich keine Sorgen zu machen«, beruhigte Raymond ihn mit einem Lächeln. »Wenn Sie sich entscheiden, unserer Gruppe beizutreten, müssen Sie allerdings eine eidesstattliche Erklärung unterschreiben, in der Sie sich zur strikten Geheimhaltung verpflichten. Erst danach werden Sie in weitere Details unseres Projektes eingeweiht.«
»Solange ich gegen kein Gesetz verstoße, habe ich kein Problem damit, eine eidesstattliche Erklärung zu unterzeichnen.«
»Nun gut«, fuhr Raymond fort und stellte seine Kaffeetasse auf der Kante von Dr. Andersons Schreibtisch ab. Er wollte die Hände frei haben, denn er war überzeugt, daß es der Durchsetzung seiner
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