Montgomery u Stapleton 03 - Chromosom 6
Griff seines Skalpells auf die entsprechenden Stellen.
»Okay«, sagte Chet voller Bewunderung. »Jetzt kann ich es auch erkennen. Du hast einen scharfen Blick. Die Endothelisierung ist noch nicht sehr weit vorangeschritten. Deshalb würde ich vermuten, daß die Operationsnarben noch recht frisch sind.«
»Das denke ich auch«, stimmte Jack ihm zu. »Ein oder zwei Monate alt vielleicht. Auf keinen Fall sind sie älter als sechs Monate.«
»Und was hat das deiner Meinung nach zu bedeuten?«
»Ich glaube, daß meine Aussichten auf eine Identifizierung der Leiche hiermit gerade um tausend Prozent gestiegen sind«, erwiderte Jack. Er richtete sich auf und streckte sich. »Das Opfer hatte also eine Bauchoperation hinter sich«, sagte Chet. »Das ist allerdings weiß Gott nichts Außergewöhnliches. «
»Eine Operation, wie sie dieser Mann hier gehabt hat, dürfte kaum so verbreitet sein«, wandte Jack ein. »Mit Operationsnarben an der Vena cava und der Arteria hepatica würde ich darauf wetten, daß er zu einer äußerst begrenzten Patientengruppe gehört hat. Ich tippe, daß man ihm vor gar nicht allzulanger Zeit eine Leber transplantiert hat.«
Kapitel 8
5. März 1997, 10.00 Uhr
New York City
Raymond Lyons schob den mit einem edlen Manschettenknopf versehenen Ärmel ein wenig hoch und warf einen Blick auf seine fein gearbeitete Piaget-Armbanduhr. Es war genau zehn Uhr. Er war zufrieden, denn zu Geschäftstreffen erschien er gerne pünktlich. Er achtete darauf, nicht zu früh zu kommen, denn seiner Meinung nach konnte zu frühes Erscheinen als ein Zeichen von Schwäche gedeutet werden, und er zog es vor, aus einer Position der Stärke zu verhandeln. Er hatte ein paar Minuten an der Ecke Park Avenue und 78th Street gestanden und darauf gewartet, daß es zehn Uhr wurde. Da es nun soweit war, rückte er seine Krawatte zurecht, überprüfte, ob sein Hut richtig saß, und ging auf den Eingang des Hauses Park Avenue Nummer 972 zu.
»Ich suche die Praxis von Dr. Anderson«, wandte er sich an den uniformierten Portier, der ihm die schmiedeeiserne Tür öffnete, die in der Mitte ein Fenster hatte.
»Die Praxis von Dr. Anderson hat einen eigenen Eingang«, erwiderte der Portier. Er öffnete die hinter Raymond zugefallene Tür erneut, ging auf den Bürgersteig hinaus und zeigte in Richtung Süden.
Raymond bedankte sich, indem er kurz die Hand an seine Hutkrempe hob, und ging dann zu dem Privateingang der Praxis. Dort las er auf einem Messingschild die eingravierte Aufforderung: Bitte zuerst klingeln und dann eintreten. Er befolgte die Anweisung.
Als hinter ihm die Tür zufiel, war er hoch erfreut. Die Praxis roch nach Geld. Sie war äußerst luxuriös ausgestattet: Die Möbel waren antik, auf dem Boden lagen dicke orientalische Teppiche, und an den Wänden hingen Kunstwerke aus dem neunzehnten Jahrhundert. Raymond ging an einen eleganten, im Stil des französischen Kunstschreiners Andre Charles Boulle gearbeiteten Rezeptionstisch, an dem eine gut gekleidete, matronenhafte Empfangsdame saß. Sie sah über ihre Lesebrille hinweg zu ihm auf. Auf dem vor ihr stehenden Namensschild las Raymond: Mrs. Arthur P. Auchincloss.
Er stellte sich vor, wobei er betonte, daß er selber Arzt sei. Wie ihm sehr wohl bekannt war, brachten einige Empfangsdamen dem Besucher nur dann den gebührenden Respekt entgegen, wenn sie wußten, daß dieser ebenfalls der Ärztezunft angehörte.
»Der Doktor erwartet Sie«, sagte Mrs. Auchincloss und bat ihn höflich, im Wartezimmer Platz zu nehmen. »Eine schöne Praxis«, bemerkte Raymond, um ein wenig Konversation zu betreiben.
»Da haben Sie recht«, erwiderte Mrs. Auchincloss. »Ist es eine große Praxis?« fragte Raymond. »Aber ja, selbstverständlich«, erwiderte Mrs. Auchincloss. »Dr. Anderson ist sehr beschäftigt. Wir haben vier voll ausgestattete Untersuchungszimmer und einen Röntgenraum.« Raymond lächelte. Er konnte sich gut vorstellen, wie astronomisch hoch die Betriebskosten von Dr. Anderson sein mußten. Bestimmt war er während der Blütezeit des expandierenden Gesundheitswesens, als die ärztlichen Leistungen noch üppig honoriert worden waren, auf sogenannte Produktivitätsexperten hereingefallen. Für Raymond schien Dr. Anderson der ideale Kandidat zu sein, um ihn als potentiellen Partner für das Projekt anzuwerben. Obwohl der Arzt mit Sicherheit noch über einen kleinen Stamm wohlhabender Patienten verfügte, die sich ihre noch von früher stammende
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