Montgomery u Stapleton 03 - Chromosom 6
Ziele diente, wenn er seine Worte mit den Händen unterstreichen konnte. Dann erzählte er Dr. Anderson von seinem zufälligen Zusammentreffen mit Kevin Marshall, das jetzt sieben Jahre zurücklag und bei dem Kevin während eines bundesweiten Kongresses einen schlecht besuchten Vortrag über die homologe Transposition von Chromosomenabschnitten zwischen den Zellen gehalten hatte.
»Homologe Transposition?« hakte Dr. Anderson nach. »Was ist das denn?« Er hatte sein Medizinstudium lange vor dem revolutionären Durchbruch der Molekularbiologie abgeschlossen und konnte mit dem Begriff nicht viel anfangen. Raymond erklärte dem Arzt geduldig, worum es ging, und wählte als Beispiel den kleinen Arm des Chromosoms sechs.
»Demnach hat dieser Kevin Marshall also eine Möglichkeit entwickelt, einen bestimmten Chromosomenabschnitt von einer Zelle zu lösen und diesen auf den gleichen Abschnitt und die gleiche Stelle einer anderen Zelle zu übertragen«, resümierte Dr. Anderson.
»Ganz genau«, entgegnete Raymond. »Für mich war es ein Gefühl wie Weihnachten. Ich mußte sofort an die klinischen Anwendungsmöglichkeiten dieser sensationellen Entdeckung denken. Wie aus heiterem Himmel tat sich plötzlich die Möglichkeit auf, von einem bestimmten Individuum ein immunologisches Double herzustellen. Wie Sie ja sicher wissen, enthält der kleine Arm des Chromosoms sechs den Haupthistokompatibilitätskomplex.«
»Einen eineiigen Zwilling sozusagen«, sinnierte Dr. Anderson. Er war allmählich Feuer und Flamme.
»Besser als einen eineiigen Zwilling«, stellte Raymond klar. »Man verwendet für die Erzeugung des immunologischen Doubles ein Tier von angemessener Größe, das bei Bedarf geopfert werden kann. Einen eineiigen Zwillingsbruder oder eine Schwester würde wohl kaum jemand opfern.«
»Warum ist die Entdeckung nicht veröffentlicht worden?« wollte Dr. Anderson wissen.
»Dr. Marshall hatte sehr wohl vor, seine Erkenntnisse zu publizieren«, erwiderte Raymond. »Vorher wollte er jedoch noch ein paar kleineren Details auf den Grund gehen. Allerdings hat ihn der Leiter seiner Fakultät dann gezwungen, den Vortrag zu halten, bevor er soweit war. Unser Glück! Nach seiner Rede habe ich ihn sofort angesprochen und ihn zu überzeugen versucht, in den privaten Sektor zu wechseln. Das war gar nicht so leicht, doch letztendlich konnte ich ihn mit dem Versprechen ködern, ihm ein Traumlabor einzurichten und ihm absolute akademische Freiheit zuzusichern. Ich habe ihm versprochen, ihm jedes nur erdenkliche Gerät und jede Vorrichtung zu besorgen, die er anfordern würde.«
»Hatten Sie denn so ein Labor?« fragte Dr. Anderson.
»Nein«, erwiderte Raymond. »Zu dem Zeitpunkt noch nicht. Aber als Dr. Marshall sich entschlossen hatte einzusteigen, habe ich mich an einen internationalen Biotechnologie-Konzern gewandt, dessen Namen ich Ihnen allerdings erst nennen kann, wenn Sie unserer Gruppe ebenfalls beitreten. Zuerst haben sie sich zwar ein bißchen geziert, doch schließlich konnte ich sie davon überzeugen, daß man die Entdeckung unbedingt kreativ vermarkten sollte.«
»Und wie geht das genau vor sich?« wollte Dr. Anderson wissen.
Raymond beugte sich ein wenig vor und fixierte den Arzt. »Wir bieten unseren Kunden an, ihnen gegen die Zahlung eines gewissen Honorars ein in immunologischer Hinsicht identisches Double zu kreieren. Wie Sie sich sicher vorstellen können, ist das Honorar recht hoch, wenn man jedoch bedenkt, daß man sich damit seinen Seelenfrieden erkaufen kann, erscheint es auch nicht überzogen. Das richtige Geld allerdings machen wir damit, daß der Kunde für den Unterhalt seines Doubles eine jährliche Gebühr entrichten muß.«
»Man zahlt also eine Art Aufnahmegebühr und muß dann die jährlichen Vereinsbeiträge berappen«, bemerkte Dr. Anderson.
»So können Sie es auch sehen«, stimmte Raymond zu.
»Und wie kann ich von diesem Unternehmen profitieren?« wollte Dr. Anderson wissen.
»Auf vielfältige Weise«, erwiderte Raymond. »Ich habe das Geschäft nach einem Schneeballsystem organisiert: Für jeden angeworbenen Kunden erhalten Sie nicht nur einen festgelegten Prozentsatz von der Aufnahmegebühr, sondern auch von den jährlichen Beiträgen. Darüber hinaus ermutigen wir Sie, andere Ärzte für das Projekt zu gewinnen, die wie Sie unter sinkenden Patientenzahlen leiden, aber nach wie vor über einen kleinen Stamm wohlhabender, gesundheitsbewußter und vor allem bar zahlender Patienten
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