Montgomery u Stapleton 03 - Chromosom 6
lieber nicht«, entgegnete Raymond kurz angebunden und verschwand sofort in seinem getäfelten Arbeitszimmer. Er schloß die Tür hinter sich und ließ sich an seinem Schreibtisch nieder. Nervös begann er die Nummer zu wählen. Vor seinem geistigen Auge sah er Cindy Carlson erst das Medizinschränkchen ihrer Mutter nach Schlaftabletten durchsuchen, dann sah er sie in einem Eisenwarenladen stehen und einen Strick kaufen.
»Was gibt’s?« meldete sich eine Stimme am anderen Ende der Leitung.
»Ich möchte mit Mr. Vincent Dominick sprechen«, erwiderte Raymond und versuchte, seiner Stimme möglichst viel Autorität zu verleihen. Er haßte es, sich mit solchen Leuten abzugeben, aber er hatte keine andere Wahl. Immerhin standen sieben Jahre intensiver Arbeit und unermüdlichen Engagements auf dem Spiel, von seiner Zukunft ganz zu schweigen.
»Wer ist am Apparat?«
»Dr. Raymond Lyons.«
»Warten Sie«, sagte der Mann nach einer kurzen Pause. Zu seiner Überraschung landete Raymond in einer Warteschleife und wurde mit Beethoven-Sonaten berieselt. Diese Musik hätte er bei dem Mafioso am allerwenigsten erwartet. Ein paar Minuten später erklang Vinnie Dominicks sonore Stimme am anderen Ende der Leitung. Seine geübte und vorgetäuscht klingende Lässigkeit wirkte auf Raymond, als hätte er es mit einem gutgekleideten Charakterdarsteller zu tun, der gerade die Rolle von Vinnie Dominick spielte.
»Wie haben Sie meine Nummer rausgekriegt?« wollte Vinnie wissen. Sein Ton war lässig, wirkte dadurch aber noch bedrohlicher. Raymond bekam schlagartig einen trockenen Mund und mußte husten.
»Dr. Levitz hat sie mir gegeben«, brachte er schließlich mühsam hervor.
»Was kann ich für Sie tun?« fragte Vinnie.
»Wir haben da noch ein weiteres Problem«, krächzte Raymond und räusperte sich. »Ich würde mich gerne mit Ihnen treffen, um die Angelegenheit zu besprechen.«
Es entstand eine lange Pause, die Raymond beinahe wahnsinnig machte. Als er gerade nachfragen wollte, ob Vinnie noch am Apparat sei, erwiderte der Mafioso: »Eigentlich hatte ich mich mit Ihrem Verein eingelassen, damit ich endlich meinen Seelenfrieden habe. Entgegen meiner Absichten scheint sich mein Leben jetzt allerdings zu verkomplizieren. Das hatte ich nicht geplant.«
»Es sind nur ein paar kleinere Probleme, die die Ausweitung unseres Projekts betreffen«, entgegnete Raymond. »In Wahrheit könnte es gar nicht besser laufen.«
»Seien Sie in einer halben Stunde im Neopolitan Restaurant auf der Corona Avenue in Elmhurst«, sagte Vinnie. »Glauben Sie, das finden Sie?«
»Natürlich«, erwiderte Raymond. »Ich nehme mir ein Taxi und fahre sofort los.«
»Dann bis gleich«, sagte Vinnie und legte auf. Raymond durchwühlte hastig die obere Schublade seines Schreibtischs. Irgendwo hatte er einen Stadtplan von New York, auf dem alle fünf Bezirke verzeichnet waren. Als er ihn gefunden hatte, breitete er den Plan aus und suchte im Straßenverzeichnis die Corona Avenue in Elmhurst heraus. Wenn es auf der Queensborough Bridge keinen Stau gab, mußte er sein Ziel eigentlich mühelos in einer halben Stunde erreichen. Allerdings war es schon fast vier, und die Rush-hour begann gerade.
Er stürmte aus seinem Arbeitszimmer und zog hastig seinen Mantel über. Darlene wollte wissen, wohin er gehe, doch er antwortete ihr, daß er im Moment keine Zeit für lange Erklärungen habe und in etwa einer Stunde zurück sei. Er lief zur Park Avenue und winkte ein Taxi heran. Zum Glück hatte er seinen Stadtplan mitgenommen; der afghanische Taxifahrer hatte keine Ahnung, wo Elmhurst war, geschweige denn wo die Corona Avenue lag.
Die Fahrt zog sich hin. Allein um auf die East Side von Manhattan zu kommen, brauchten sie fast eine Viertelstunde. Und dann ging es auf der Brücke nur im Stop-and-go-Tempo voran. Als er eigentlich bereits im Restaurant hätte sein sollen, erreichten sie gerade Queens. Von da an ging es aber zum Glück zügig voran, so daß er sich nur fünfzehn Minuten verspätete. Er betrat das Restaurant und schob einen schweren Samtvorhang zur Seite.
Offensichtlich war das Restaurant nicht geöffnet. Die Stühle standen umgekehrt auf den Tischen, und Vinnie Dominick saß allein in einer der zahlreichen geschwungenen, mit roten Polstersesseln ausgestatteten Nischen. Vor ihm auf dem Tisch lag eine Zeitung, daneben stand eine Tasse Espresso. In einem gläsernen Aschenbecher glimmte eine Zigarette vor sich hin.
Vier weitere Männer lümmelten sich auf den
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