Montgomery u Stapleton 06 - Crisis
ihr zu sagen, dass er sich so gut eingerichtet hatte, wie es bisher möglich gewesen war.
»Was meinst du damit?«, fragte sie argwöhnisch.
»Ich habe Craig Bowman noch nicht gesehen. Anscheinend ist er gar nicht so glücklich darüber, dass ich hier bin.«
»Das ist aber nicht sonderlich nett von ihm, vor allem wenn man den Zeitpunkt bedenkt.«
Dann ging Jack zur, wie er fand, guten Nachricht über, nämlich seiner Reaktion auf Alexis’ Töchter. Er erzählte Laurie, dass eines der Mädchen ihn sogar als Allererstes nach dem Flugzeugabsturz gefragt habe, er aber zu seiner freudigen Überraschung sehr gut damit klargekommen sei.
»Es überrascht mich, aber ich bin sehr froh darüber«, sagte Laurie. »Das ist wunderbar und erleichtert mich ungemein.«
Dann erzählte Jack ihr, dass es sich – und das sei die einzige schlechte Neuigkeit – bei dem angeblichen Behandlungsfehler nicht um eine rein technisch-medizinische Frage handelte, sondern um etwas sehr viel Verzwickteres. Also bestand sogar noch weniger Hoffnung, dass er irgendwie behilflich sein könnte.
»Ich hoffe, das bedeutet, dass du dich schnurstracks wieder auf den Rückweg machst«, entgegnete Laurie.
»Ich wollte gleich anfangen, die Akte zu lesen«, sagte Jack. »Ich vermute, danach weiß ich mehr.«
»Viel Glück.«
»Danke. Das werde ich brauchen.«
Jack beendete das Gespräch und steckte das Handy wieder ein. Einen Moment lang spitzte er die Ohren und lauschte auf ein Geräusch in dem großen Haus. Aber es herrschte Totenstille. Er entnahm dem Umschlag sämtliche Papiere und legte sie auf das Beistelltischchen. Als Erstes las er einen Aufsatz, den Craig zusammen mit einem bekannten Zellbiologen aus Harvard verfasst und im renommierten New England Journal of Medicine veröffentlicht hatte. Er beschäftigte sich mit der Funktion von Natriumkanälen in Zellmembranen, die für die Erregung von Aktionspotenzialen in Nerven und Muskeln verantwortlich waren. Es gab sogar ein paar Diagramme und elektronenmikroskopische Aufnahmen subzellularer Molekularstruktur. Er warf einen Blick auf den »Material und Methode«-Abschnitt. Er konnte sich kaum vorstellen, wie jemand auf solch obskure Theorien kommen, geschweige denn sie erforschen konnte. Da er feststellte, dass das alles sein momentanes Verständnis überstieg, legte er den Aufsatz achtlos zur Seite und griff stattdessen nach einem Befragungsprotokoll. Es war die Aussage von Leona Rattner.
Kapitel 7
Boston, Massachusetts
Dienstag, 6. Juni 2006
06.48 Uhr
D as Erste, was zu Jack durchdrang, war ein entfernter Streit, gefolgt von einer mit erschütternder Wucht zugeschlagenen Tür. Einen Moment lang versuchte er, die Geräusche in seinem Traum unterzubringen, aber es ergab keinen Sinn. Dann öffnete er die Augen, nur um zu erkennen, dass er nicht die geringste Ahnung hatte, wo er sich befand. Nachdem er sowohl den in helles Sonnenlicht getauchten Brunnen vor dem Erkerfenster als auch den Raum gemustert hatte, kehrte seine Erinnerung blitzartig zurück. In der Hand hielt er das Protokoll der Aussage einer Krankenschwester namens Georgina O’Keefe aus dem Newton Memorial Hospital, das er gerade gelesen hatte, als er eingeschlafen war.
Jack sammelte alle Unterlagen aus dem Stanhope gegen Bowman- Behandlungsfehler-Fall zusammen und schob sie in den Umschlag. Dann stand er auf. Ein plötzliches Schwindelgefühl ließ ihn kurz innehalten.
Er hatte keine Vorstellung davon, um wie viel Uhr er eingeschlafen war. Er hatte die gesamten Unterlagen durchgelesen und war gerade dabei gewesen, sich die interessantesten noch mal vorzunehmen, als ihm irgendwann die Augen zugefallen waren. Zu seiner Überraschung hatte ihn das Material von Anfang an gefesselt. Wenn seine Schwester nicht mittelbar in die Geschichte verwickelt wäre, hätte er sie für das unterhaltsame Drehbuch einer Seifenoper halten können, denn von den Seiten sprangen ihm die farbigen Charaktere der Figuren entgegen. Da war der begabte, engagierte, aber arrogante und ehebrecherische Arzt; die verschmähte, zornige attraktive junge Geliebte; der korrekte und eher wortkarge trauernde Witwer; die kompetenten, aber streitbaren Sachverständigen; die Parade der übrigen Zeugen; und schließlich das scheinbar hypochondrische Opfer. Es war eine Komödie menschlicher Schwächen, abgesehen von dem unglücklichen tödlichen Ausgang und der Tatsache, dass sie schließlich in einer Klage gemündet hatte. Was den möglichen Ausgang des
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