Monuments Men
...«, begann der kleine Mann mit dem Namen Erzkorn.
»Der ehemalige Oberbürgermeister«, korrigierte ihn Pfarrer Stephany.
Erzkorn schien den feindseligen Ton des Geistlichen bei der Erwähnung des Parteifunktionärs nicht zu bemerken. »Der ehemalige Oberbürgermeister von Aachen«, fing er noch einmal an, »hat versucht, die Kunstschätze wegzubringen, als die Amerikaner anrückten. Aber die Kisten waren zu schwer.«
Hancock strich mit der Hand über das Holz. In den Kisten befanden sich die aus Gold und Silber gefertigte Büste Karls des Großen, die einen Teil von dessen Schädel barg, das Gewand der Jungfrau Maria, das Vortragekreuz Lothars II., das mit der Kamee versehen ist, die Kaiser Augustus zeigt, sowie viele weitere vergoldete oder geschmiedete Metallgegenstände. Vorsichtig hob er den Deckel einer unbeschrifteten Kiste an. Darin kam der aus dem 12. Jahrhundert stammende Schrein der Kirche St. Heribert in Deutz zum Vorschein.
»Ist das aus Gold?«, fragte eine Stimme ehrfürchtig flüsternd.
Hancock hatte den Soldaten fast vergessen, der sie in die Mine begleitet hatte. Die Monuments Men hatten seit Monaten über dieses Kunstdepot Bescheid gewusst. Sie konnten sich ungefähr vorstellen, was sie dort erwarten würde, doch auch für sie war schwer zu begreifen, dass sich hier, in dieser eigenartigen und wenig erbaulichen Umgebung, eine solche Fülle von kostbaren Gegenständen fand, die auf elementare Weise mit der Menschheitsgeschichte verbunden waren.
»Aus Gold und Emaille«, antwortete Hancock und bedeutete dem Soldaten, er solle ihm helfen, den schweren Deckel ganz hochzuklappen.
»Wie viel ist das wert?«
»Mehr als sich jeder von uns vorstellen kann.«
Erzkorn führte sie kurz herum. In den meisten der Nischen befanden sich Objekte aus westdeutschen Museen, vor allem aus Museen in Bonn, Köln, Essen und Münster. Andere Nischen enthielten die Kunstschätze von Kirchen im Rheinland. Enttäuscht stellten die Amerikaner fest, dass es außer Objekten aus der französischen Stadt Metz, von denen sie bereits Kenntnis hatten, hier keine weiteren ausländischen Kunstwerke gab. Das geraubte kulturelle Erbe der übrigen Länder Nordwesteuropas befand sich irgendwo anders, vielleicht in einem anderen Bergwerk und musste erst noch gefunden werden.
Erzkorn deutete zu einem Stapel aus vierzig Schachteln. »Aus dem Beethovenhaus in Bonn. Das Originalmanuskript der 6. Symphonie ist irgendwo da drin.«
»Ich habe das Haus schon besucht«, flüsterte Hancock und dachte an die Kirschblüten zwischen den Ruinen.
In der Nähe des Eingangs standen zwei massive Holztüren. Hancock erkannte das raue, flache Relief der zahlreichen Paneelen die das Leben Christi darstellten. Er hätte gern seine Bildhauerhände darauf gelegt, um die Kerben der alten Steckbeitel zu fühlen. Die Schnitzereien waren primitiv, aber sie verkörperten auch Geschichte, und sie verströmten für die Menschen des Mittelalters die sie einst betrachtet hatten, einen größeren Zauber als Worte.
»Die Türen von St. Maria im Kapitol in Köln«, erklärte Etzkorn sichtlich bewegt. »Ich kenne diese Kirchengemeinde sehr gut.«
Hancock nickte, sagte aber nichts. St. Maria war zerstört worden. Diese Türen waren vermutlich das Einzige, was von der Kirche übrig geblieben war.
»Ich weiß, was Sie denken«, sagte Stout zu Hancock, nachdem sie ihre flüchtige Überprüfung abgeschlossen hatten. »Es erscheint töricht, die Dinge alle hierzulassen. Die Feuchtigkeit, die schlechte Luft, die ... unzuverlässigen Wachen. Aber wir haben keine Lastwagen, keine Packer, keine Fahrer. Wir haben nicht einmal einen besser geeigneten Ort, wo wir sie hinbringen könnten. Wir stellen einen Soldaten aus der Infanteriedivision als Wächter auf, kommen morgen zurück und untersuchen die Funde genauer. Wir können nichts von hier wegnehmen, solange die entsprechenden Maßnahmen nicht in die Wege geleitet sind. Aber keine Sorge, Walker, hier sind die Objekte einigermaßen sicher. Jetzt wird ihnen nichts mehr zustoßen.«
Sie verließen die Mine durch einen Tunnel, der noch kürzer war als die beiden anderen und offenbar den Haupteingang zum Depot bildete. Wie der erste war auch er voll mit Menschen, die hier vor den alliierten Bombern Zuflucht gesucht hatten. Doch die meisten der Flüchtlinge hier trugen Uniformen. Diese hatten unterschiedliche Formen und Farben, die Hancock größtenteils nicht kannte. Als die Amerikaner vorübergingen, nahmen viele dieser
Weitere Kostenlose Bücher