Monuments Men
nicht zu den Schweinen in Ihrer Umgebung gehören, die Ihnen sagen, sie glaubten an den Sieg, ohne an den Sieg zu glauben.«
»Sie haben vierundzwanzig Stunden Zeit! Sie können sich Ihre Antwort überlegen«, sagte Hitler und drehte sich um. »Morgen geben Sie mir Auskunft, ob Sie hoffen, dass der Krieg noch gewonnen werden kann.« 197
Unmittelbar nach dieser Besprechung erhielt Speer ein Fernschreiben des Chefs des Transportwesens, in dem der »Nero-Befehl« bekräftigt und die »Schaffung einer Verkehrswüste« angeordnet wurde. Zerstört werden sollten »Brücken aller Art, die Gleisanlagen, die Stellwerke, alle technischen Anlagen an den Rangierbahnhöfen, Betriebs- und Werkstätteneinrichtungen, aber auch die Schleusen und Schiffshebewerke unserer Schifffahrtswege. Gleichzeitig sollten alle Lokomotiven, Personen- und Güterwagen, alle Frachtschiffe und Lastkähne restlos zerstört, durch Schiffsversenkungen in den Kanälen und Flüssen starke Sperren geschaffen werden.« 198 Hitler verlangte nicht weniger als die vollständige Zerstörung des Reiches.
In dieser Nacht schrieb Speer einen Brief an Hitler. »Ich kann aber nicht mehr an den Erfolg unserer guten Sache glauben wenn wir in diesen entscheidenden Monaten gleichzeitig und planmäßig die Grundlagen unseres Volkslebens zerstören. Das ist ein so großes Unrecht unserem Volk gegenüber, dass das Schicksal es mit uns dann nicht mehr gut meinen kann. ... Ich bitte Sie daher, nicht selbst am Volk diesen Schritt zu vollziehen. Wenn Sie sich hierzu in irgendeiner Form entschließen könnten dann würde ich wieder den Glauben und den Mut haben, um mit größter Energie weiterarbeiten zu können. Es liegt nicht mehr in unserer Hand, wohin sich das Schicksal wendet. Nur eine bessere Vorsehung kann unsere Zukunft noch ändern. Wir können nur noch durch eine starke Haltung und unerschütterlichen Glauben an die ewige Zukunft unseres Volkes dazu beitragen. ... Gott schütze Deutschland.« 199
Hitler weigerte sich, den Brief entgegenzunehmen, und verlangte eine mündliche Antwort. Am 30. März 1945, als er vor dem Führer stand, den er verehrt und dem er ergeben gedient hatte, verließ Speer der Mut. »Mein Führer«, sagte er. »Ich stehe bedingungslos hinter Ihnen.« 200
Drei Tage später, 560 Kilometer westlich von Berlin, waren die Monuments Men Walker Hancock und George Stout unterwegs zu einer Stadt, die sie seit Monaten in Gedanken beschäftigte, weil sie voller Geheimnisse steckte und eine Vielzahl von Kunstschätzen zu bergen versprach: Siegen in Westfalen.
Brief von Walker Hancock an seine Frau Saima, 4. April 1945 201
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Die vergangenen Tage waren die unglaublichsten in meinem bisherigen Leben. So habe ich neulich zusammen mit George Stout und dem Pfarrer von Aachen eine lange Fahrt unternommen, um einen Ort aufzusuchen, an dem die bedeutendsten Kunstschätze Deutschlands versteckt sind. Wir kamen am selben Tag in die Stadt, an dem sie eingenommen wurde. Nur eine Einfallstraße in die Stadt war befahrbar, weil es auf den umliegenden Hügeln noch immer einige »Widerstandsnester« gab. Immer wieder hörte man die Detonationen von Granaten und Maschinengewehrfeuer. (Es bestand keine echte Gefahr, aber es war alles sehr aufregend.) Die Stadt war seit drei Monaten heftig bombardiert worden, und seit Wochen tobten Kämpfe in den Straßen, daher kannst Du Dir vielleicht vorstellen (oder auch nicht), wie es in der Stadt ausgesehen hat. Einzelne Bewohner wagten sich aus ihren Verstecken, aber im Großen und Ganzen war die Stadt leer und trostlos – eine Blutlache, neben der ein amerikanischer Helm lag, war bezeichnend für die Situation –, und es herrschte die übliche Zerstörung, die wir mittlerweile so gut kennen.
Unser geistlicher Begleiter führte uns zum Eingang des Stollens, wo die Kunstobjekte gelagert waren. Anders als im Rest der Stadt wimmelte es hier von erbarmungswürdigen Gestalten. Wir betraten den schmalen Durchgang und gingen in die dunkle, stickige Mine. Die Menschen, die sich darin aufhielten, waren so eng gedrängt, dass ich mich fragte, wie man unter diesen Bedingungen länger als einen Tag überleben konnte. Keiner von ihnen war seit zwei Wochen ins Freie gekommen. Wir drangen immer tiefer in den Berg vor, und als sich unsere Augen an die Dunkelheit und unsere Ohren an das Flüstern gewöhnt hatten, wurde uns allmählich die Dramatik der Situation bewusst. (Unsere Nasen konnten sich allerdings nicht an den Gestank gewöhnen.)
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