Monuments Men
seiner enormen Sammlung aus geraubten Gemälden, Plastiken, Tapisserien und anderen Kunstobjekten zurück nach Unterstein. Persönlich führten er und seine Ehefrau nur jene zehn kleinen Meisterwerke mit sich, die sie bei der Räumung von Carinhall mitgenommen hatten und die so wertvoll waren, dass beide bis zum Ende ihrer Tage wie Könige hätten leben können.
Jenseits der österreichischen Grenze, in der sogenannten Alpenfestung herrschte Verwirrung unter den Verteidigern. Eigruber hatte einen Sprengtrupp geschickt, der die Bomben zur Detonation bringen sollte. Ein verlässlicher Informant – der Ehemann einer Freundin eines Bergmanns – hatte die Männer des Sprengkommandos in einem Tal ein paar Kilometer entfernt gesehen, wo sie auf Gestapo-Leute warteten, die sie begleiten sollten. In den vergangenen Tagen hatten Pöchmüller und Högler erwogen nach Salzburg zu fahren und die westlichen Alliierten über die Situation zu informieren. Sie waren jedoch zu dem Schluss gelangt, dass dies zu riskant sei. Dass sie gegen die bewaffneten Wachen vorgehen könnten, war eine törichte Vorstellung, vor allem wenn in Kürze die Gestapo mit dem Sprengkommando eintreffen würde. Es war auch keine Zeit mehr, und sie verfügten zudem nicht über die entsprechenden Möglichkeiten, um die schweren Bomben aus der Saline hinauszuschaffen. In diesem entscheidenden Augenblick hatte der Bergmann Alois Raudaschl eine Idee. Dr. Ernst Kaltenbrunner, der Chef des Reichssicherheitshauptamts und die Nummer zwei in der SS, hatte sich aus Hitlers Berliner Führerbunker abgesetzt und war unterwegs nach Altaussee, wo seine Geliebte lebte. Raudaschl gehörte der NSDAP an und wusste, wie man mit Kaltenbrunner Kontakt aufnehmen konnte. Vielleicht würde Kaltenbrunner helfen können?, meinte er.
Es war tatsächlich ein bestechender Gedanke. Als Leiter des Reichssicherheitshauptamtes hatte Kaltenbrunner einen höheren Rang als Eigruber. Er war im Bunker gewesen und wusste, was Hitler dachte. Und er besaß viele Charakterzüge, die der Gauleiter zweifellos schätzte. Der gebürtige Österreicher war auch bekannt dafür, dass er ein entschiedener Anhänger von Hitlers grausamsten Herrschaftspraktiken war: der Einrichtung von Konzentrationslagern, der Exekution von Kriegsgefangenen und dem »Verschwindenlassen« Tausender »unerwünschter Personen« in den von den deutschen Truppen besetzten Gebieten. Kurzum, er war ein skrupelloser, kalter und gefühlloser Schweinehund also genau jene Art von Mann, den Eigruber respektieren würde.
Aber würde sich ein solcher Mann wirklich dazu bereitfinden Kunstwerke zu retten?
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DER WETTLAUF
Berchtesgaden und Neuschwanstein
4. Mai 1945
Die 3. Infanteriedivision der 7. US-Armee, »der Felsen der Marne«, hatte sich von Nordafrika aus über Sizilien, Anzio, Frankreich und Süddeutschland vorangekämpft und nun die bayerischen Alpen erreicht. Sie hatte sich Ende April an der Einnahme Münchens und an der Befreiung des nahe gelegenen Konzentrationslagers Dachau beteiligt. Am 2. Mai 1945 war das 7. Infanterieregiment dieser Armee, das auch »Cottonbaler« (Baumwollballen) genannt wurde, nach Salzburg vorgerückt, dem Einfallstor zum österreichischen Teil der sogenannten Alpenfestung. Die Amerikaner erwarteten, dass es zu Kämpfen kommen würde, aber in den vergangenen Tagen hatte der Widerstand plötzlich nachgelassen und sie konnten die Stadt einnehmen, ohne einen Schuss abzufeuern. Dadurch gelangte das Regiment in eine ideale Ausgangsposition für den Vorstoß auf das letzte große Juwel des Krieges: Hitlers Berghof bei Berchtesgaden, das Herzstück der Alpenfestung. 269
Am Morgen des 4. April suchte der Befehlshaber der 3. Infanteriedivision Generalmajor John »Iron Mike« O’Daniel, Oberst John A. Heintges auf, den Kommandeur des 7. Infanterieregiments. »Glauben Sie, wir schaffen es nach Berchtesgaden?«, fragte er ihn.
»Ja, Sir«, antwortete Heintges. »Ich habe bereits einen Plan ausgearbeitet.« Heintges hatte seinen Pionieren aufgetragen, in Nachtarbeit eine örtliche Brücke zu verstärken, sodass die Division sie passieren konnte, wenn der Befehl zum Angriff kam.
Eine Stunde später begannen das 1. und das 3. Bataillon in einer Zangenformation auf Berchtesgaden vorzurücken. Während das 1. Bataillon die Gebirgspässe überquerte, schwenkte das 3. Bataillon weit aus und zog unbehelligt über die Autobahn. Das 1. Bataillon erreichte Berchtesgaden am 3. Mai 1945 um 15.48 Uhr, zwei Minuten
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