Monuments Men
er Stout während der langen, langsamen Fahrt im dunklen Aufzug zum Boden des Schachts, »und am nächsten Tag rückten deutsche Soldaten ein. Sie arbeiteten unter völliger Geheimhaltung. Zwei Wochen später wurde das Bergwerk versiegelt. Es war der 2. April, George, der Tag, an dem wir nach Siegen gekommen sind.«
Der Aufzug hielt auf dem Grund des Schachts, und die Männer schalteten ihre Taschenlampen ein. An der Decke gab es elektrische Leuchten, aber das Licht war schwach, und immer wieder fiel der Strom aus. »Hier entlang«, sagte Hancock und deutete zum Hauptgang. Sie befanden sich mehr als einen halben Kilometer tief in der Erde, und außer ihren Schritten gab es keine Geräusche. Abzweigende Gänge, gesäumt von herausgemeißelten Felskammern, führten ins Dunkel. Wo immer Stout den Strahl seiner Taschenlampe in eine der Kammern richtete, wurden Stapel von Mörsergranaten und Sprengstoff sichtbar. Ungefähr 200 Meter weiter tauchte eine frisch gemauerte Wand auf. Sie hatte keine Tür – die Nazis hatten nicht damit gerechnet, dass jemand dieses Depot zu betreten versuchen würde –, und daher war in die Mitte der Wand ein Loch geschlagen worden. Auf der anderen Seite des Gangs war eine große Menge Dynamit aufgehäuft.
»Nach Ihnen«, sagte Hancock.
George Stout zwängte sich durch die Maueröffnung und kam in einen Raum, der, auch nachdem er Merkers und Siegen gesehen hatte, seine Vorstellungskraft bei Weitem übertraf. Es gab einen breiten Mittelweg, der hell erleuchtet und von Holzgestellen und Ablagefächern gesäumt war. Von diesen Fächern hingen 225 Fahnen und Banner herab, allesamt ausgerollt und an den Enden mit dekorativen Elementen versehen. Es handelte sich um deutsche Regimentsfahnen aus der Zeit der frühen preußischen Kriege bis zum Ersten Weltkrieg. In der Nähe des Eingangs der Kammer standen Kartons und Gemälde, und in den Nischen sah Stout sorgfältig arrangierte Tapisserien und andere dekorative Stücke. In einigen Nischen, bemerkte Stout, standen große Särge. 264 Drei waren schmucklos; an einem waren ein Kranz und rote Schleifen angebracht, und es stand ein Name darauf: Adolf Hitler.
»Das ist nicht er«, sagte Hancock über die Schulter. »Die Männer von der Versorgungseinheit dachten, Hitler läge hier, aber das stimmt nicht.«
Stout trat an die Nische heran, in der der geschmückte Sarg stand. Über ihm hingen die Fahnen schlaff herab, einige der älteren waren von Netzen umhüllt, um sie zusammenzuhalten. In der Nähe bemerkte Stout stählerne Munitionskisten, und auf den Schleifen befanden sich Hakenkreuze. Hancock hatte recht; das war nicht Hitler. Auf einem schlichten Etikett, das mit einem Klebeband befestigt war, stand mit roter Kreide geschrieben: »Friedrich Wilhelm I., der Soldatenkönig«. Friedrich Wilhelm I. war seit 1740 tot. Mit dem Schmuck, erkannte Stout, hatte Hitler dem Begründer des modernen deutschen Staates seine Referenz erweisen wollen. Er untersuchte die übrigen Särge, an denen ebenfalls ein mit roter Kreide beschriftetes Etikett klebte. In einem lag Feldmarschall Paul von Hindenburg, der größte deutsche Kriegsheld des Ersten Weltkriegs, und neben ihm befand sich seine Frau. Der vierte Sarg enthielt die sterblichen Überreste von Friedrich dem Großen, dem Sohn des Soldatenkönigs.
Woher hatte Hitler diese Särge?, überlegte Stout. Hatte er sie aus den Gräbern geraubt?
»Das ist eine Krönungskammer«, erklärte Hancock. »Sie wollten Hitler zum Kaiser von Europa krönen.«
»Oder der Welt«, ergänzte Stout und untersuchte die Fotografien in einer kleinen Metallschachtel. Es waren Fotos und Porträts aller militärischen Führer des preußischen Staates vom Soldatenkönig bis zu Hitler. In drei weiteren Schachteln lagen Herrschaftsinsignien der preußischen Monarchen: das Reichsschwert von Fürst Albrecht, das 1540 geschmiedet worden war; das Zepter, der Reichsapfel und die Krone, die bei der Inthronisierung des Soldatenkönigs 1713 verwendet worden waren. Die Juwelen waren von der Krone entfernt worden, denn auf einem Etikett stand: »Zum Verkauf.« 265 Stout untersuchte den Rest des Raumes. Die stählernen Munitionskisten enthielten Bücher und Fotografien aus der Bibliothek Friedrichs des Großen. Die 217 Gemälde in der hintersten Nische stammten aus Friedrichs Palästen in Berlin und aus Sanssouci in Potsdam.
»Dies ist kein Krönungsraum«, stellte Stout fest. »Es ist ein Reliquiar. Hier wurden die kostbarsten Artefakte des
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