Monuments Men
des Ortes weinten und baten um Schonung des Gotteshauses, aber als Rorimer ihnen erklärt hatte, dass es keine andere Möglichkeit gab, fanden sie sich damit ab. Das war der Preis der Freiheit.
Es gab auch Fälle, die schlimmer hätten ausgehen können. Die historische Abtei von St. Sauveur-le-Vicomte, die als deutsches Munitionsdepot diente, wurde durch alliierte Luftangriffe zerstört. Als Rorimer ankam, gaben amerikanische Soldaten den Kindern ihre eigenen Verpflegungsrationen zu essen; in der Abtei hielten sich 56 Waisenkinder und 35 Nonnen auf. »Die Abtei ist gesegnet«, erklärte ihm die Oberin. »Sie wurde zerstört, aber alle sind unversehrt geblieben.«
Das Schloss des Comte de Germigny war durch alliierte Bomben in Brand geraten. Als er näher kam, sah Rorimer die geschwärzten Mauerreste, die wie riesige Schultern aus Stein emporragten. In ihrem Schatten war ein Bulldozer dabei, eine der letzten noch weitgehend intakten Mauern einzureißen. Es war üblich, beschädigte Mauern niederzureißen; die Armee verwendete die Steine als Baumaterial für Straßen. Aber dieses Château stand auf der Liste der zu schützenden Bauwerke, und gerade diese Mauer gehörte zur Privatkapelle des Schlosses. Auf der Rückseite bemerkte Rorimer zwei große Statuen aus dem 18. Jahrhundert.
»Stoppen Sie den Bulldozer!«, schrie er den verblüfften Pionier an, der in den vergangenen paar Tagen anscheinend damit beschäftigt gewesen war, die übrigen Mauern des demolierten Schlosses zu schleifen. »Das ist eine historische Stätte.« Er hielt ihm seine Liste der geschützten Gebäude vor das Gesicht. »Sie darf nicht zerstört werden.«
Ein paar Minuten später kam der befehlshabende Offizier durch den Schutt gestampft. »Was gibt’s denn hier für ein Problem ... Leutnant?« Dass er Rorimers Rang erwähnte, den niedrigsten Offiziersrang, war Absicht. Die Monuments Men besaßen nicht die Befugnis, Befehle zu erteilen; sie waren reine Beobachter, und das wusste dieser Offizier.
»Das ist ein historisches Monument, Sir. Es darf nicht beschädigt werden.«
Der Offizier betrachtete die zusammengefallene Mauer und die Steinbrocken. »Das hätten die Helden der Lüfte bedenken sollen.«
»Es ist Privateigentum, Sir. Das muss respektiert werden.«
Der Offizier knöpfte sich den rangniedrigeren, wenngleich älteren Mann vor. »Wir müssen hier einen Krieg gewinnen, Leutnant. Und ich muss in diesem Krieg dafür sorgen, dass hier eine Straße hindurchführt.«
Der Offizier wandte sich zum Gehen. Er hielt das Gespräch für beendet, aber James Rorimer war wie eine Bulldogge: klein, stämmig gebaut und furchtlos. Durch Beharrlichkeit und harte Arbeit hatte er sich im Laufe von kaum zehn Jahren in die Führungsebene des Metropolitan Museum hochgearbeitet, der bedeutendsten kulturellen Einrichtung Amerikas. Er besaß jene machtvolle Mischung aus Ehrgeiz und Glauben: Glauben an sich selbst und an seine Mission. Er hatte bislang keine Erfahrung mit dem Scheitern und auch nicht die Absicht, jetzt damit anzufangen.
»Ich habe diese Mauern für einen offiziellen Bericht fotografiert.«
Der Offizier blieb stehen und drehte sich um. Was für eine Frechheit! Für wen hielt sich dieser Kerl? Rorimer hielt ihm eine Kopie von Eisenhowers Proklamation über den Umgang mit Kulturgütern im Krieg entgegen. »Nur wenn es unbedingt notwendig ist, Sir. Ein Befehl des Oberkommandierenden. Möchten Sie den Rest Ihres Einsatzes damit verbringen, zu erklären, warum diese Zerstörung eine militärische Notwendigkeit war und nicht nach eigenem Gutdünken erfolgte?«
Der Offizier starrte den kleinen Mann an. Wusste dieser Spinner nicht, dass hier gerade ein Krieg stattfand? Aber als er James Rorimer anschaute, erkannte er, dass es sinnlos war. »Okay«, brummte der Offizier und bedeutete dem Bulldozer-Fahrer, er solle sich von der Mauer entfernen, »aber das ist eine verdammt bescheuerte Art, einen Krieg zu führen.« 64
Rorimer dachte an die Abtei St. Sauveur-le-Vicomte, wo er amerikanische Soldaten gesehen hatte, die Kindern ihre Verpflegung gegeben hatten. Die Soldaten hatten im Regen ihre Zelte aufgeschlagen und waren von einem General, der die historische und kulturelle Bedeutung dieses Klosters erkannt hatte, aus den warmen, bequemen Betten der Mönche nach draußen geschickt worden. Dieser General war vermutlich nicht besonders beliebt bei seinen Soldaten, aber Rorimer wusste, dass es Männer wie ihn brauchte, um sich den Respekt der Franzosen
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