Monuments Men
kürzester Zeit in der Hierarchie aufgestiegen. Trotz seiner Jugend hatte er alle Hindernisse beiseitegeräumt, die der Einrichtung einer neuen Museumsabteilung, des Cloisters, im Weg standen, hatte sich mit John D. Rockefeller Jr. die Unterstützung eines mächtigen Förderers gesichert und einen Mitarbeiterstab, der nicht recht zusammenpasste, neu organisiert. In der Armee dagegen stand Rorimer ganz unten in einer bürokratischen Hierarchie und war völlig machtlos; trotz seiner Beförderung zum Leutnant war er nach wie vor der rangniedrigste Mann in der Armee und in der MFAA. »Der Krieg bringt vieles mächtig durcheinander«, schrieb er im April an seine Frau, »vor allem, wenn man ein kleiner Offizier ist, nachdem man im Zivilleben über viele Jahre eine erfolgreiche berufliche Karriere absolviert hat. Ich hoffe nur, dass mein Wunsch, endlich zum Einsatz zu kommen, nicht am Ende durch all die kleinen Wichte zunichte gemacht wird, die Politik spielen und eine Show abziehen.« 61 Erst vier Wochen nach dem Beginn der Invasion in der Normandie wurde er offiziell der MFAA zugeteilt; kurze Zeit später war er auf dem europäischen Festland. Nachdem er den bürokratischen Wirrwarr in England hinter sich gelassen und seinen Traumposten bekommen hatte, war es für James Rorimer undenkbar, dass er scheitern könnte – unabhängig davon, wie schwierig die Aufgabe sein würde, die vor ihm lag.
In der Normandie war jeder Monuments Man für eine bestimmte Kampfzone zuständig. Diese Zonen entsprachen meist den einzelnen Kampfgruppen, wie etwa der 1. US-Armee, der 3. US-Armee oder der 2. britischen Armee. Rorimers Bereich war die Communications Zone, das Gebiet hinter der Front, wo Straßen gebaut und Nachschub herangeschafft wurde. Doch die Informationen über die Grenzen der »Comm Zone« veränderten sich so schnell, dass es fast unmöglich war, sich immer wieder darauf einzustellen oder – manchmal – auch, den genauen Frontverlauf zu ermitteln. Die Normandie war eine Heckenlandschaft, durchzogen von hohen Erdwällen, die mit Bäumen und Büschen bewachsen waren und die Felder voneinander trennten und die Straßen schützten. Häufig gab es 12 bis 16 davon auf einer Meile, sie behinderten die Sicht in das dahinterliegende freie Gelände und auf den Wall der nächsten Hecke. Nach zwei oder drei Hecken, die alle in schiefen Winkeln verliefen, wussten die Kommandeure oft nicht mehr, ob sie sich nach vorn oder rückwärts bewegten.
»Halten Sie sich einfach nur an die Straße«, empfahl ein gehetzter Offizier Rorimer, als er an seinem ersten Einsatztag das Hauptquartier verließ. »Und halten Sie den Kopf unten. Ein toter Monuments-Offizier nützt uns gar nichts mehr.« 62
Am Fuhrpark überprüfte ein Soldat seine Befehle und schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Leutnant. Die Monuments-Abteilung steht nicht auf der Liste. Sie werden sich eine Mitfahrgelegenheit suchen müssen. Ständig fahren hier Lastwagen ab – Leute, die Leitungen reparieren, Nachschub transportieren oder Tote begraben. Es dürfte Ihnen nicht schwerfallen, jemand zu finden, der Sie mitnimmt.«
Rorimer fuhr mit dem ersten Konvoi, der ihn mitnehmen konnte. Er hatte Dutzende Stätten aufzusuchen, aber keinen Plan und kein definiertes Ziel. Er hatte nur den Wunsch, aktiv zu werden, sich nützlich zu machen. Sein erster Aufenthalt war Carentan, die strategische Verbindung zwischen den Strandabschnitten Omaha und Utah. Die Stadt war durch Luftbombardements und Artilleriebeschuss fast völlig zerstört worden, doch inmitten der Verwüstungen entdeckte Rorimer zu seiner Überraschung jenes Gebäude, das auf der Liste der zu schützenden Kulturgüter stand: die Kirche der Stadt, die fast unversehrt war. Lediglich der Turm war beschädigt worden, aber nur geringfügig. Rorimer ließ sein Fernglas sinken. Seine erste Aufgabe bestand darin, den Zustand des Gebäudes nach dem Kampf zu dokumentieren; als Nächstes sollte er die Renovierungsarbeiten überwachen, falls solche erforderlich waren. Da der Turm nicht unmittelbar einsturzgefährdet war, bestand kein Grund, sich länger in Carentan aufzuhalten. Er konnte den Departement-Architekten von Cherbourg, einen älteren Franzosen, der ebenfalls die Gebäude inspizierte, dazu bringen, die Verantwortung für die Instandsetzung des Turms zu übernehmen. Dann winkte er einen Jungen heran, der ihn von der anderen Straßenseite aus beobachtet hatte.
»Tu veux aider?«, fragte Rorimer. »Willst du helfen?« Der Junge
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