Monuments Men
angezündet«, erzählte ihm ein Mann, der sich durch die Trümmer wühlte. »Sie haben auf allen größeren Straßen Minen gelegt.« Irgendwo in der Nähe detonierte eine Mine; ein weiteres Gebäude stürzte ein. Dem amerikanischen Architekten traten Tränen in die Augen, als er den historischen Stadtkern erblickte. Die Deutschen hatten an den bedeutendsten historischen Gebäuden der Stadt Gräben ausgehoben und unterirdische Betonbunker gebaut, die von den alliierten Bombern zerstört worden waren. Die wichtigsten Verwaltungsgebäude waren zerbombt worden und dann in Flammen aufgegangen. Das Hôtel de Ville, in dessen Bibliothek die Charta von Wilhelm dem Eroberer aufbewahrt worden war, war ausgebrannt. Das nahe gelegene Kunstmuseum und dessen im Laufe vieler Jahrhunderte angesammelte Schätze waren zu Staub geworden. Der Mittelteil der Kirche Notre-Dame hatte sich in einen sechs Meter hohen Geröllhaufen verwandelt. Jene Teile der Kirche, die noch standen, waren »voll mit Granaten, Rauchbomben, Verpflegungskisten und Trümmern aller Art«, wie Rorimer notierte. Auf der Kanzel und auf dem Alter waren Sprengfallen angebracht gewesen. 67
Den Offizieren im Hauptquartier erschien Rorimers Bericht derart unglaublich, dass sich der diensthabende Oberst von Civil Affairs selbst ein Bild von der Situation machen wollte. Er fand die Szenerie vermutlich noch schrecklicher, als Rorimer sie beschrieben hatte. Nach späteren Schätzungen wurde die Stadt zu 95 Prozent zerstört, ein Ausmaß an Verwüstung, das sonst nur in den von deutschen Brandbomben zerstörten Städten erreicht wurde. Der berühmte irische Schriftsteller Samuel Beckett, der nach Frankreich ausgewandert war, beschrieb Saint-Lô als »Hauptstadt der Ruinen.« 68 Rorimers Bestandsaufnahme der zerstörten Objekte enthielt nicht nur die historischen Bauten der Stadt, sondern auch jahrhundertealte Archive, eine eindrucksvolle Keramiksammlung, zahlreiche private Kunstsammlungen und, was vielleicht den schmerzlichsten Verlust darstellte, eine große Sammlung illustrierter Manuskripte, die von den Mönchen des Klosters auf dem Mont Saint-Michel zusammengetragen worden war. Diese unschätzbar wertvollen Handschriften, die mit Illustrationen versehen waren und von denen einige aus dem 11. Jahrhundert stammten, waren in das Departement-Archiv von Saint-Lô ausgelagert worden, um sie dort in Sicherheit zu bringen.
Doch die Zerstörung, so schlimm sie war, war keineswegs willkürlich erfolgt. Die Einnahme von Saint-Lô war von entscheidender Bedeutung für die Alliierten, denn dadurch kamen sie in den Besitz der Hochebene, von der aus sie mit ihrer Artillerie und durch Luftschläge gezielt das Herz der deutschen Verteidigungsstellungen angreifen konnten. Einige Wochen später, nach den bislang heftigsten Luftangriffen in der Militärgeschichte, konnten die 1. und die 3. US-Armee, die durch die Bresche bei Saint-Lô herangeführt wurden, schließlich den deutschen »Stahlring« bezwingen, der den Vormarsch der Alliierten in der Normandie zwei Monate lang aufgehalten hatte. Wenn je eine Stadt die Komplexität der Mission der Monuments Men symbolisierte, die Schwierigkeit, Kulturgüterschutz und strategische Erfordernisse miteinander in Einklang zu bringen, dann war es Saint-Lô.
Es war daher passend, dass sich die Monuments Men auf dem Feld als Gruppe zum ersten Mal vor den Ruinen von Saint-Lô trafen. Das Treffen fand am 13. August statt, als General Patton, der von der Stadt aus nach Osten weitergefahren war, seine 3. Heeresgruppe nach Nordwesten wandte, um die deutschen Truppen zu umfassen. Der Kampf um die Normandie war zwar offiziell noch nicht beendet, doch der Sieg schien sicher, und es war nun an der Zeit, die Ereignisse der Vergangenheit zu bewerten und für die Zukunft zu planen. Ein paar harte Monate lagen hinter den Monuments Men, und die Müdigkeit in ihren Knochen kündete von der Schwierigkeit ihres Auftrags. James Rorimer, der sich im Hauptquartier wieder einmal eine Mitfahrgelegenheit gesucht hatte, schlief praktisch in seinen schmutzverkrusteten Stiefeln. Er wurde begleitet von Hauptmann Ralph Hammett, einem Architekten und Monuments Man, der ebenfalls in der Comm Zone arbeitete. Major Bancel LaFarge, der New Yorker Experte für Gebäude, der als erster Monuments Man nach Frankreich gekommen war, erschien in einem kleinen Auto, das ihm Kollegen in der 2. britischen Armee zur Verfügung gestellt hatten. Im Februar sollte LaFarge den Feldeinsatz aufgeben
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