Monuments Men
hatten Häuser niedergebrannt und die Infrastruktur zerstört, manchmal aus strategischen Gründen, oft aber nur deswegen, weil sie dazu imstande waren. Ihre Kommandeure, so munkelte man, ließen ihre Soldaten erschießen, wenn sie den Rückzug antreten wollten. James Rorimer präsentierte den anderen nach einigem Suchen eine Visitenkarte. Darauf stand ein Name: J. A. Agostini, ein französischer Kulturbeamter in der Stadt Coutances. Auf die Rückseite hatte der Mann gekritzelt: »Ich bestätige, dass deutsche Soldaten Lastwagen des Roten Kreuzes zum Plündern benutzt haben und dass sie dabei manchmal auch von Offizieren begleitet wurden.« 72
»Ein Unheil verkündendes Zeichen«, meinte George Stout und brachte zum Ausdruck, was alle dachten. Keiner musste es aussprechen.
»Sie Idiot«, erwiderte der neue und weniger verständnisvolle kommandierende Offizier, dem James Rorimer nun unterstellt war, einige Tage später, als der Monuments Man um die Erlaubnis bat, zu dem rund 150 Kilometer entfernten Mont Saint-Michel fahren zu dürfen, einem aus dem Mittelalter stammenden Klosterberg vor der Küste der Bretagne. »Das hier ist ein Krieg im 20. Jahrhundert. Wer zum Teufel interessiert sich da für mittelalterliche Mauern und heißes Pech?« 73
Das war ein weiteres Problem. In der Armee wechselten ständig die Kommandeure, und Rorimer konnte nie wissen, wer sein kommandierender Offizier sein würde, wenn er ins Hauptquartier zurückkehrte – und welche Haltung dieser zum Kulturgüterschutz haben würde. Nach wie vor besaßen die Monuments Men die Rückendeckung Eisenhowers, des Oberkommandierenden, woran sich dieser Offizier nun auch plötzlich zu erinnern schien.
»Also gut«, knurrte er. »Fahren Sie. Aber eines will ich Ihnen sagen, Rorimer: Beeilen Sie sich und schauen Sie, dass Sie so schnell wie möglich wieder zurückkommen. Wenn wir Sie zurücklassen müssten ...« 74
Rorimer drehte sich um, sodass der Offizier nicht sehen konnte, dass er lächelte. Er stellte sich vor, dass das Ende dieses Satzes wohl lauten würde dann wäre das kein Verlust für uns, und dieser Gedanke gefiel ihm. Es machte ihm Spaß, die höheren Chargen ein bisschen zu piesacken.
Da er kein offizielles Fahrzeug erhielt, mietete Rorimer, unerschütterlich wie stets, ein ziviles Auto – der französische Fahrer hatte es während der deutschen Besatzung in einem Heustadel versteckt –, das ihn an die bretonische Küste bringen sollte. Eine deutsche Gegenoffensive hatte Pattons Linien vor der Stadt Avranches beinahe durchbrochen, aber der Kampf um die Normandie war nun im Großen und Ganzen vorbei, und der Raum westlich von Avranches war ruhig. Während der Fahrt dachte Rorimer an den Mont Saint-Michel, wie er ihn von Besuchen in den vergangenen Jahren in Erinnerung hatte. »Der Berg«, wie die Felseninsel genannt wurde, war mit dem Festland nur durch einen schmalen, eineinhalb Kilometer langen Damm verbunden. Am Rand der Insel lag ein winziges Dorf; auf der Spitze des Berges stand das Kloster von Saint-Michel, die berühmte mittelalterliche »Stadt der Bücher«. Rorimer zuckte zusammen bei dem Gedanken, wie viele solche Bücher bei Saint-Lô vernichtet worden waren. Wenn auch das Kloster verloren war ... Er dachte an den Kreuzgang aus dem 13. Jahrhundert; die hoch in den Himmel ragende Abtei; das unterirdische Labyrinth von Krypten und Kapellen; den Salle des Chevaliers mit seinem Deckengewölbe, das von einer dreifachen Säulenreihe getragen wurde. Es war ein solch außergewöhnliches Bauwerk, dass es den Monuments Man Bancel LaFarge, nachdem er es gesehen hatte, zu dem Entschluss gebracht hatte, Architekt zu werden, wie er Rorimer erzählt hatte. Der Berg hatte tausend Jahre lang allen Angriffen und Belagerungen getrotzt, was nicht unerheblich darauf zurückzuführen war, dass er durch das umgebende Wasser und dessen schnelle Gezeiten geschützt wurde, doch in der modernen Kriegsführung konnte durch einen einzigen Bombenangriff alles vernichtet werden.
Rorimer brauchte sich nicht lange Sorgen zu machen. Der Mont Saint-Michel, das konnte er schon aus eineinhalb Kilometern Entfernung sehen, stand noch. An der Auffahrt zum Damm hatte Hauptmann Posey, der Monuments Man, der Pattons 3. Armee zugeteilt war, bereits drei »Zutritt verboten«-Schilder angebracht. Bedauerlicherweise hatten sie nicht verhindern können, dass die Insel überrannt wurde. Überall waren Soldaten, die rauften, herumschrien und sich betranken. Der Mont
Weitere Kostenlose Bücher