Monuments Men
konnte Hitler der Versuchung nicht länger widerstehen. Im Juli schickte er eine geheime Delegation unter Leitung von Dr. Ernst Buchner, dem Generaldirektor der Bayrischen Staatsgemäldesammlungen, zu der Lagerstätte in Pau. Es war keine gewaltsame Unternehmung – die Delegation bestand nur aus einem Lastwagen und einem Pkw –, aber eine heimliche. Als der französische Verwalter die Herausgabe des Altars verweigerte, rief Buchner in der Reichskanzlei an. Nach wenigen Stunden kam ein Telegramm von Pierre Laval, dem Chef des Vichy-Regimes, das mit den Deutschen zusammenarbeitete, in dem die Übergabe des Altars an Buchner angeordnet wurde. Als die belgischen und französischen Kulturbehörden davon erfuhren, war der Genter Altar schon in Deutschland gelandet. Die belgische Regierung protestierte vehement – sie beschuldigte sogar die Franzosen des Verrats an der Kultur –, aber sie konnte nichts mehr tun. Der Genter Altar war weg.
Und jetzt, mehr als zwei Jahre später, saß Robert Posey auf seiner Pritsche in einer eroberten deutschen Kaserne in Frankreich und betrachtete ein Bild dieses unersetzlichen Kunstobjekts. Er wusste, die Welt hoffte darauf, dass er und die übrigen Monuments Men es aufspürten, seine Herausgabe von jenen erzwangen, die es bewachten oder zerstören wollten, und es unversehrt nach Belgien zurückbrachten.
15
JAMES RORIMER BESUCHT DEN LOUVRE
Paris
Anfang Oktober 1944
Während sich Posey in der 3. US-Armee sichtlich wohlfühlte, ging es auch Leutnant James Rorimer, dem zielstrebigen Kurator des Metropolitan Museum, in Paris nicht schlecht. Als er am Mont Saint-Michel beim Bier saß, hatte er sich sehnlich gewünscht, er möge in die Stadt der Lichter versetzt werden; kurze Zeit nachdem er in das Hauptquartier zurückgekehrt war, erfuhr er, dass er tatsächlich den »besten aller Jobs« erhalten sollte, »den es in Europa für jemandem mit meinem Hintergrund gab«. 93 Die französischen Behörden hatten ihn »mit offenen Armen und Herzen« empfangen, und er wurde regelmäßig von den Reichen und Mächtigen der Pariser Gesellschaft eingeladen. 94 Sie wollten seine Hilfe; er wollte von ihnen Informationen. Es stimmte ihn froh und glücklich, dass er aus ganzem Herzen als Befreier und als Freund willkommen geheißen wurde.
Und Paris, dieses wunderbare Heiligtum von einer Stadt, befand sich in prächtiger Verfassung. Es war kaum zu glauben, wenn man sich die Gebäude und die Kunstobjekte anschaute, dass die Stadt vier Jahre lang von den Deutschen besetzt gewesen war. Mehrere Wahrzeichen der Stadt – darunter der Grand Palais, der von den Nazis niedergebrannt worden war bei dem Versuch, die Résistance zu vernichten – waren zerstört, aber wenn man einen der großen Boulevards entlangging, erlebte man eine Stadt, die praktisch unversehrt war und vor Leben sprühte. Es gab fast kein Benzin, aber an jeder Straßenecke blockierten Fahrräder die Gehsteige, vor allem Tandems mit kleinen Anhängern, die in der Zeit der Besatzung das wichtigste Verkehrsmittel in der Stadt gewesen waren. In den Parks saßen alte Männer mit Baskenmützen oder Filzhüten zusammen und spielten Karten. Im Jardin du Luxembourg ließen Kinder Schiffchen im Brunnen treiben, deren kleine Segel weiß vom Wasser abstachen. »Auf den langen und wunderbar leeren Avenuen, die in das Herz der Stadt führen«, schrieb Francis Henry Taylor, der die Stadt als Vertreter der Roberts-Kommission besuchte, »spürte man jenes Hochgefühl, das nur jene empfinden, die nach einem tiefen Schlaf aus Krankheit erwachen. Der Lebenswille hatte sich wieder durchgesetzt. Paris als die höchste Schöpfung des menschlichen Geistes hatte jene Hand gelähmt, die sie in ihrem Griff hielt.« 95
Taylor hielt sich nur ein paar Tage in Paris auf. Ein näherer Blick auf die Stadt enthüllte, dass zwar an der Oberfläche der Gesellschaft Überschwänglichkeit herrschte, doch die wurde durch Strömungen von Angst und Misstrauen unterhöhlt. Aufgrund des plötzlichen Abzugs der Deutschen und des Zusammenbruchs der Vichy-Regierung gab es in der Stadt nur noch wenige öffentliche Bedienstete wie Polizisten, und es war auch nicht möglich, die hochkochenden Emotionen einer zornigen Bevölkerung unter Kontrolle zu halten. Eine Welle von Racheakten erfasste die Stadt, als die Bürger das Recht in die eigenen Hände nahmen. Frauen, die sich mit deutschen Soldaten eingelassen hatten, wurden auf die Straßen gezerrt, und vor den Augen der wütenden Menge
Weitere Kostenlose Bücher