Monuments Men
wurden ihnen die Haare abgeschnitten; mutmaßliche Kollaborateure wurden vor Tribunale gestellt und standrechtlich exekutiert. Wer eine der Zeitungen der Stadt las, wie beispielsweise Le Figaro, wusste um den Ernst der Lage. Der Figaro erschien nach einer zweijährigen Unterbrechung ab dem 23. August 1944 wieder. Zunächst umfasste das Blatt nur zwei Seiten, und es gab darin eine besondere tägliche Rubrik: Der erste Teil trug die Überschrift »Les Arrestations et l’Epuration« (Verhaftungen und Säuberungen); darin wurden sämtliche Aktivitäten des Vortages zur Verfolgung von Kollaborateuren aufgeführt. Unterhalb dieses Artikels gab es zwei Listen: »Les exécutions capitales« (Todesurteile) und »Les exécutions summaires« (standrechtliche Erschießungen). Auch die zivilisierteren Todesurteile, das wusste Rorimer, durften erst nach Prozessen verhängt werden, die mehrere Stunden oder auch einige Tage dauerten.
In diesem Vakuum – keine funktionierenden Institutionen, kein funktionsfähiger Sicherheitsapparat und kein Vertrauen gegenüber den Mitbürgern – gab es für einen Monuments Man viel zu tun. Im Civil Affairs Handbook der Armee wurden für Paris 165 Kulturgüter aufgeführt, von denen 52 offiziell geschützt waren. Es gab Hunderte, wenn nicht Tausende Objekte, die durch Plünderungen beschädigt worden waren. Hunderte von Skulpturen aus dem öffentlichen Raum waren verschwunden, vor allem die berühmten Bronzestatuen der Stadt, und sogar die aus dem 19. Jahrhundert stammenden Lampen des Senatsgebäudes waren gestohlen worden. Und dazu kam das allgemeine Durcheinander in einer Stadt, die allmählich wieder auf die Beine zu kommen versuchte. Grundlegende Informationen und entsprechendes Material aufzutreiben, war häufig unmöglich. Verfahrensfragen konnten einen Monuments Man stundenlang aufhalten. Schon die Suche nach dem zuständigen Beamten für ein bestimmtes Gebiet oder eine Aufgabe erforderte einen übermäßig hohen Energieaufwand.
Kurz nach seiner Ankunft im August war Rorimer zunächst Oberstleutnant Hamiltons Einheit zugewiesen worden, und auch Ende September wollte Hamilton ihn noch nicht ziehen lassen. »Kein Offizier sollte sich ausschließlich mit Kulturgütern beschäftigen«, hatte Hamilton Rorimer erklärt, als dieser um seine Freistellung nachsuchte. Hamilton brauchte einen energischen, kompetenten Offizier, der Französisch sprach, und wollte daher nicht auf Rorimer verzichten. 96
Zudem musste er dafür sorgen, dass das amerikanische Militär in der Stadt keine Schäden anrichtete. Im August, als er im Konvoi von General Patton angekommen war, schien Paris verlassen; jetzt wimmelte es überall von amerikanischen Soldaten. Sie zeigten sich durchaus hilfsbereit. Eine Einheit, die in Rorimers Auftrag die Schäden am Place de la Concorde ermitteln sollte, zählte alle Einschusslöcher an dem enormen Komplex. Am nächsten Tag sah Rorimer die Soldaten, wie sie am Louvre die Einschusslöcher erfassten. »Nur eine allgemeine Bewertung«, sagte er zu den Männern. »Nur das Gesamtbild.« Das Gebäude des Louvre war so weitläufig, dass sie für das Zählen aller Einschusslöcher wohl ein ganzes Jahr gebraucht hätten.
Das eigentliche Problem bestand nach Rorimers Ansicht darin, dass das amerikanische Militär die Franzosen eigentlich nicht verstand. Der Park, durch den er gerade spazierte, der Jardin des Tuileries, war dafür ein sehr gutes Beispiel. Es war ein großer ehemaliger Schlosspark im Herzen von Paris, der für Ludwig XIV. angelegt worden war und allen Besuchern dieser großen Stadt bekannt war. An seinem ersten Tag in Paris hatte ihn Rorimer so gesehen, wie ihn wohl nur wenige Pariser je zu Gesicht bekommen hatten: fast völlig menschenleer in der Morgendämmerung. Die zurückgelassenen deutschen Geschütze, welche die Einfassung säumten, hatten anscheinend viele Leute ferngehalten, doch unter einem zerschossenen Baum biwakierte eine amerikanische Panzereinheit und bereitete sich auf kleinen Feuern ihr Frühstück zu. Abgesehen von ihnen hatte Rorimer den Garten für sich allein.
Einige Wochen später entdeckte er, dass die Tuilerien als riesiges Lager für die Alliierten missbraucht wurden. Die Deutschen hatten Gräben durch den Park gezogen und diese mit Stacheldraht versehen, aber dass die Alliierten nun Splittergraben-Latrinen im Herzen von Paris anlegten, ging zu weit. Die Tuilerien, erklärte Rorimer in einer Reihe von endlosen Gesprächen, seien kein
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