Monuments Men
der Normandie durchbrochen und dadurch den Deutschen die letzten Rückzugswege aus Westfrankreich verstellt hatte. Sie waren die Armee, die den Vorstoß über die südliche Flanke anführte, während die übrigen Heeresgruppen irgendwo hinter ihnen im Norden unterwegs waren. Wenn Eisenhower der 3. Armee früher freie Hand gegeben hätte, als Patton zum ersten Mal vorgeschlagen hatte, sich nach Osten zu wenden, um den Deutschen den Weg zu versperren, hätten sie den Krieg möglicherweise schon beenden können. Kein Soldat in der 3. Armee hegte daran Zweifel. Sie waren zuversichtlich, und das lag allein an dem Mann im großen Zelt, General George S. Patton Jr. Gewiss, er war streitlustig, hochmütig und bisweilen nahezu verrückt, aber Posey hätte alles für diesen Mann getan. Nur Willie, den Hund des Generals, einen Bullterrier, benannt nach Wilhelm dem Eroberer, konnte er nicht ausstehen.
Er setzte sich auf seine Liege, zog sich sein Hemd an und griff nach dem Brief seiner Frau Alice. Er las ihn abermals, das vierte oder fünfte Mal, und spürte erneut, wie die harte Schale des Soldaten sofort weich wurde. Es war diese vertraute Sehnsucht nach seinem Zuhause. Alice lebte für die Dauer des Krieges bei Verwandten in South Carolina, aber Posey dachte an das Heim, das sie miteinander geteilt hatten. Dieses kleine Fleckchen Erde, den »Zoo«, wie er das Innere des Hauses immer nannte. Das schiefe Lächeln seines Sohnes; die liebenswürdige Unordnung seiner Frau mit ihrer weichen Stimme. Er wollte sie am liebsten jetzt in den Armen halten, aber nachdem die Zensoren in jüngster Zeit das Verbot aufgehoben hatten, in Briefen in die Heimat über spezifische Einzelheiten zu berichten – zumindest in Bezug auf Gebiete, die bereits erobert waren –, berichtete er ihr stattdessen von seinen Reisen.
»Nun, da der Feldzug in Frankreich fast vorüber ist«, schrieb er, »dürfen wir über die Städte berichten, die wir gesehen haben. Ich habe die großen Kathedralen von Coutances, Dol, Rennes, Laval, Le Mans, Orleans, Paris, Reims, Chalons-Sur-Marne, Chartres und Troyes besucht. Chartres ist die größte von allen. Ich habe in Dörfern auch viele schöne Kirchen gesehen und viele Landschlösser, den berühmten Mont Saint-Michel und Fontainebleau ebenfalls. Das kleine Dorf, von dem ich [in einem früheren Brief] berichtet habe, ist Les Iffs, ungefähr auf halber Strecke zwischen Rennes und Saint Malo auf der bretonischen Halbinsel. Ich habe eine Menge Souvenirpostkarten mit Autogrammen.« 92
Er blätterte die Karten durch, die alle für seinen fünfjährigen Sohn Dennis bestimmt waren, den er »Woogie« nannte. Er schickte dem Jungen gern kleine Kinkerlitzchen – Postkarten, Knöpfe und vor Kurzem ein Koppelschloss mit Hakenkreuz und ein Handtuch, in das »Kriegsmarine« eingestickt war und das er in einem deutschen U-Boot-Stützpunkt gefunden hatte. Das waren Souvenirs von Soldaten, ganz ähnlich wie jene, die von den Männern der 3. Armee nach Hause geschickt wurden, denen er sich so zugetan fühlte. Es war seine Art, die Verbindung mit seinem Sohn aufrechtzuerhalten und seine Reise durch Europa zu dokumentieren, die, dessen war er sich voll bewusst, eines Tages auch durch eine Mine oder eine Kugel enden konnte.
Als er jetzt, frisch geduscht, zurückdachte an seine Reise, erschien es ihm kaum fassbar, wie weit er herumgekommen war. Er war mit der Liebe zum Militär aufgewachsen, da er seine Schulzeit an einer Einrichtung des Reserve Officer Trainings Corps (ROTC) verbracht hatte. Er war Architekt geworden, gehörte aber noch immer zu den Reservisten, als die Japaner Pearl Harbour angegriffen hatten. Er wollte gleich am nächsten Tag zum Pazifik aufbrechen, aber in der Verwirrung dieser schrecklichen Zeit dauerte es sechs Monate, bis er zum aktiven Dienst einberufen wurde. Er wurde mitten im Sommer zum Basiscamp in Louisiana geschickt, dem heißesten und feuchtesten Ort, an dem er jemals gewesen war – und das hatte etwas zu bedeuten, denn er war schließlich mitten in Alabama aufgewachsen. Von dort wurde er nach kurzer Zeit nach Churchill in Manitoba versetzt, Kanadas einzigem Hafen am Polarmeer, und das wurde die kälteste Erfahrung seines Lebens. Dort war er die meiste Zeit damit beschäftigt, Landebahnen zu entwerfen und zu bauen – zur Abwehr einer möglichen deutschen Invasion über den Nordpol.
Den Nordpol! Welcher General war beim Blick auf den Globus auf diese Idee gekommen? Posey traf im Eis der Tundra niemals
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