Monuments Men
hölzernen Rutsche die Treppe hinabglitt und ihre großen Flügel leicht in der Luft zitterten. Wenn sie zerbrochen wäre, hätte man Jaujard dafür zur Rechenschaft gezogen. Aber er war ein Mann, der Herausforderungen schon immer geliebt hatte. Wie Rorimer glaubte auch Jaujard, dass es besser war, sich die Last der Führung und der Verantwortung aufzuladen, anstatt im Schatten dahinzuleben.
Rorimer blieb stehen, drehte sich um und blickte in die lange, leere Grande Galerie des Louvre. So viele unersetzliche Kunstwerke waren verschwunden, dachte er. So groß waren die Gefahren. Er ging zu einer dunklen Nische, die von Säulen umrahmt wurde und wo ihm zwei Worte ins Auge sprangen. Die Worte La Jaconde schienen an der Wand in einem leeren Bilderrahmen zu schweben. La Jaconde, das war der französische Name für die Mona Lisa. Die meisten Objekte waren in Sammeltransporten weggebracht worden, oftmals über Straßen, die im Bombenhagel lagen, aber die Mona Lisa, das berühmteste Gemälde der Welt, war mitten in der Nacht auf einer Krankentrage in einen Lastwagen geladen worden. Ein Kurator setzte sich im Laderaum dazu; dann wurde der Lastwagen versiegelt, um die klimatischen Verhältnisse stabil zu halten. Als der Lastwagen an seinem Zielort ankam, war das Gemälde in bestem Zustand, aber der Kurator fast ohnmächtig. Er hatte nicht genug Luft zum Atmen gehabt. 97
Es gab noch weitere Geschichten. Das berühmte Bild Das Floß der Medusa von Théodore Géricault war so groß, dass es sich in den Oberleitungen der Versailler Straßenbahn verfing. Aber daraus lernten die Verantwortlichen. In der nächsten Stadt mit tief liegenden Oberleitungen wurde der Lastwagen von Technikern der Telefongesellschaft begleitet, die alle Leitungen mit langen, isolierten Stangen hochhoben. Es war ein amüsantes Bild: ein Lastwagen, der durch die Straßen kroch und von stangenschwingenden Männern begleitet wurde, und die Stadtbewohner, die evakuiert wurden und vielleicht verwundert das Bild mit den sterbenden Gesichtern der Schiffbrüchigen auf dem sinkenden Floß anstarrten. Aber die Situation war alles andere als lustig. Hier handelte es sich um künstlerische Meisterwerke, nicht um Festumzugsboote. Doch unter Jaujards sorgfältiger Leitung gab es keine Beschädigungen.
Aber auch Jaujard hatte die Wucht des deutschen »Blitzkriegs« und den demütigenden Zusammenbruch der französischen Armee nicht vorhersehen können. Durch die Auslagerung von Kunstwerken in vorübergehende Ausweichquartiere, meist in Landschlössern und abgelegenen Burgen, sollten Kriegsschäden vermieden werden, vor allem durch Luftangriffe. Im Château de Sourches in der Nähe von Le Mans hatten die Kuratoren auf dem Rasen in großen weißen Buchstaben die Worte »Musée du Louvre« angebracht, sodass Piloten, die darüber hinwegflogen, wussten, dass hier Kunstwerke untergebracht waren, und das Gebäude nicht bombardierten. Als die französische Armee immer schwächer wurde, befahl Jaujard, die Kunstwerke in Depots weiter im Westen und im Süden zu verlegen. Die vorrückenden Deutschen entdeckten ihn in der Lagerstätte Chambord südwestlich von Paris, wo er den Abtransport leitete. »Sie sind der erste hochrangige französische Beamte, den wir im Dienst antreffen«, erklärten sie ihm. 98
Zum Glück wurde nichts durch Bomben oder Artilleriebeschuss beschädigt, aber gegen die deutschen Besatzer waren die Franzosen machtlos. Die Eroberer kannten nahezu alle Kunstwerke, die sich in französischem Besitz befanden, und begannen umgehend, sie zu beschlagnahmen. Paris wurde am 14. Juni 1940 besetzt. Am 30. Juni befahl Hitler seinen Statthaltern in Paris, verschiedene Kunstwerke aus den nationalen französischen Sammlungen sicherzustellen, ebenso Kunstwerke und historische Dokumente, die sich in Privatbesitz befanden, insbesondere in jüdischem Besitz. Diese Kunstobjekte sollten als Faustpfand bei Friedensverhandlungen genutzt werden. Frankreich hatte bislang nur einen Waffenstillstand unterzeichnet; Hitler wollte den formellen Friedensvertrag nutzen, um sich die Kulturgüter des Landes »legal« anzueignen, so wie vor 150 Jahren einseitige Friedensabkommen dem Kaiser Napoleon dazu gedient hatten, ihm die Kulturschätze Preußens zu sichern. Es herrschte weithin Einigkeit darüber – und es war auch nur eine leichte Übertreibung –, dass der Louvre ohne Napoleons Beutegut nur ein Schatten dessen gewesen wäre, was er schließlich geworden war.
Nun schritt der
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