Monuments Men
einflussreiche deutsche Botschafter in Paris, Otto Abetz, zur Tat und erklärte, dass die von den Deutschen kontrollierte Regierung im besetzten Gebiet die Kunstgüter »in Verwahrung« nehmen werde. Drei Tage nach Hitlers Befehl ordnete Abetz die Beschlagnahme der Bestände der 15 größten Kunsthändler in Paris an, von denen die meisten Juden waren. Innerhalb weniger Wochen wurde die Botschaft mit »sichergestellten« Kunstwerken überschwemmt. Und in dieser Situation, erfuhr Rorimer von Jaujard in einem ihrer vielen Gespräche, tauchte ein wahrer Held auf: der Kunstbeamte Prof. Dr. Franz Graf von Wolff-Metternich.
»Ein Deutscher?«, fragte Rorimer überrascht.
Jaujard nickte, aber seine Patrizieraugen zwinkerten. »Nicht nur ein Deutscher«, sagte er. »Ein guter Deutscher.«
Im Mai 1940 war Graf Wolff-Metternich zum Reichsbeauftragten für den Kunstschutz in den besetzten Gebieten ernannt worden. Der Kunstschutz war ursprünglich als Kunstschutzeinheit des deutschen Militärs im Ersten Weltkrieg entstanden – der einzige echte Vorläufer der MFAA der westlichen Alliierten –, war aber 1940 als Zweig des deutschen Besatzungsregimes neu konstituiert worden und hauptsächlich in Belgien und Frankreich tätig, ab 1943 auch in Italien. Wolff-Metternich, ein Experte für die Kunst der Renaissance, insbesondere jener des Rheinlands, wo er auch geboren worden und aufgewachsen war, hatte als Professor an der Universität Bonn gelehrt, bevor ihm diese wichtige Aufgabe übertragen wurde.
Wolff-Metternich war für diesen Spitzenjob ausgesucht worden, weil er ein angesehener Wissenschaftler war, dessen Glaubwürdigkeit dem Kunstschutzprogramm eine gewisse Professionalität und Legitimität verlieh. Er war kein glühender Parteigenosse, aber in dieser und ähnlichen Situationen legten die Nationalsozialisten oft mehr Wert auf die Qualifikation mancher Leute als auf deren politische Linientreue. Dazu kam als weiterer positiver Faktor, dass die Familie Wolff-Metternich ein jahrhundertealtes rheinisches Adelsgeschlecht war.
Wolff-Metternich erhielt keine konkreten Anweisungen, hatte aber eine klare Vorstellung davon, was der Kunstschutz leisten sollte. »Jederzeit«, schrieb er, »haben wir uns streng an den entsprechenden Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung ausgerichtet.« 99 Seine Definition von kultureller Verantwortung war daher international anerkannt und unterschied sich von den Vorstellungen der Nazis. »Der Schutz von Kunstgütern«, schrieb Wolff-Metternich, »ist eine unbestreitbare Verpflichtung, die für alle europäischen Nationen, die sich im Krieg befinden, bindend ist. Ich kann mir keine bessere Möglichkeit vorstellen, meinem Land zu dienen, als dadurch, dass ich die Verantwortung dafür übernehme, dass dieses Prinzip gewahrt wird.« 100
»Graf Wolff-Metternich stellte sich gegen den Botschafter«, erzählte Jaujard. »Er wandte sich über dessen Kopf hinweg an die Militärführung. Es gab wirklich ein Tauziehen darum, wer Frankreich kontrollieren würde, das deutsche Militär oder die deutsche Besatzungsverwaltung. Nach wenigen Tagen untersagte das Militär der Botschaft, weitere Kunstobjekte zu beschlagnahmen. Auf meine Empfehlung hin, die durch Wolff-Metternich übermittelt wurde, wurden die meisten Objekte, die sich im Besitz der Botschaft befanden, zum Louvre gebracht. Als sie dort ankamen, waren viele von ihnen schon für den Abtransport nach Deutschland verpackt.«
Jaujard machte nicht viel Aufhebens um seinen Erfolg. Er war ein Mann, der Diskretion für wichtig hielt; er glaubte, dass man handeln, aber nicht darüber reden sollte. Aber Rorimer kannte die Geschichten über Jaujards Mut und seine Tapferkeit; er hatte mehrmals und aus verschiedenen Quellen gehört, welche Verehrung dem Museumsleiter für seinen Widerstand gegen die Bedrohung durch die Nationalsozialisten entgegengebracht wurde. Dass er dem Botschafter eine Niederlage beigebracht hatte, bedeutete nur, dass der Kampf nicht schon gleich am Anfang verloren wurde; der Krieg um die Kunst war damit noch längst nicht gewonnen. Jaujard hatte in der Auseinandersetzung mit dem Botschafter eng mit Graf Wolff-Metternich zusammengearbeitet – wesentlich enger, als er zugegeben hatte –, und er sollte auch noch bei vielen späteren Versuchen der Nazis, sich das kulturelle Erbe Frankreichs anzueignen, mit ihm kooperieren. Ein Beamter, dessen Auftrag darin bestand, Dokumente der französischen Regierung zu beschlagnahmen, versuchte auch,
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