Moon
Childes' ausgestreckte Arme. Sie klammerte sich an ihm fest, drückte ihm feuchte Küsse auf die Wangen und achtete überhaupt nicht darauf, daß sich ihre Brille zur Seite verschoben hatte. Er hielt sie mit geschlossenen Augen fest.
Mit einem Schluchzen platzte es aus ihr heraus. »Daddy, man hat Annabel weggeholt!«
»Ich weiß, Gabby, ich weiß.«
»Aber warum, Daddy? Hat ein böser Mann sie geholt?«
»Wir wissen es nicht. Die Polizisten werden es herausfinden.«
»Warum will er sie nicht gehenlassen? Ihre Mummy hat so Angst und vermißt sie, und ich auch - sie ist meine beste Freundin.« Sie hatte geweint, und ihr Gesicht war mit roten Flecken überzogen; die Augen hinter den Brillengläsern wirkten aufgequollen.
Er setzte seine Tochter behutsam ab, ließ sich neben ihr auf der untersten Treppenstufe nieder und zog ein Taschentuch aus seiner Jackentasche. Zärtlich wischte er ihr die Tränen fort, dann nahm er ihre Brille und putzte sie. Während der ganzen Zeit sprach er beruhigend auf Gabby ein. Zitternd hielt sie sein Handgelenk umklammert.
Overoy sagte leise: »Ich glaube, ich sehe mal nebenan vorbei und unterhalte mich mit Mr. und Mrs. - äh...«
»Berridge«, half Fran aus.
»Gehen Sie ruhig«, sagte Childes und legte den Arm um Gabbys gebeugte Schultern. »Wir unterhalten uns, wenn Sie zurück sind.«
Mit einem knappen Nicken in Frans Richtung ging Overoy und zog die Haustür hinter sich zu. Fran schloß sofort ab.
»Was, zum Teufel, macht er hier?« wollte sie wissen.
»Ich habe ihn angerufen, bevor ich abgeflogen bin«, erklärte Childes. »Er hat mich in Gatwick abgeholt und hergefahren.«
»Okay, aber was hat er mit dieser Sache zu tun?«
Childes fuhr seiner Tochter über die Haare, und Gabby schaute von ihm zu ihrer Mutter; in ihrem Gesicht zeichnete sich eine neue Besorgnis ab. Childes wollte vor der Kleinen keine Diskussion.
»Gabby, hör mal zu. Du gehst jetzt nach oben, in dein Zimmer, und ich werde bald nachkommen. Mummy und ich haben noch etwas miteinander zu besprechen.«
»Ihr schreit euch nicht an, nein?«
Sie erinnerte sich noch daran.
»Nein, natürlich nicht. Wir wollen nur unter vier Augen miteinander reden.«
»Über Annabel?«
»Ja.«
»Aber sie ist meine Freundin. Ich möchte auch über sie reden.«
»Wenn ich hochkomme, kannst du mir alles sagen, was du auf dem Herzen hast.«
Sie stand auf, blieb auf der ersten Stufe noch einmal stehen. Sie legte die Arme um seinen Hals. »Versprich mir, daß du nicht lange brauchst.«
»Ich versprech's dir.«
»Ich vermisse dich, Daddy.«
»Ich dich auch, Dreikäsehoch.«
Sie ging die Treppe hinauf, sehr langsam, sehr gewichtig, und oben drehte sie sich noch einmal um und winkte, bevor sie den Flur entlang und in ihr Zimmer lief.
»Gabrielle!» rief ihr Fran hinterher. »Ich glaube, es ist Zeit, daß du dich fürs Bett fertigmachst. Das rosa Nachthemd ist in deiner obersten Schublade.«
Sie hörten einen Laut, der ein Protest hätte sein können, aber nichts weiter.
»Es war ein schlimmer Tag für sie«, bemerkte Fran, als sich Childes wieder aufrichtete.
»Sieht so aus, als wäre er auch für dich ziemlich hart gewesen«, meinte er.
»Stell dir die Hölle vor, die Tony und Melanie durchgemacht haben.« Sie blieb noch einen Moment lang auf Distanz und sah ihn unsicher an, und dann lag sie in seinen Armen, und ihr Kopf war an seiner Schulter, ihre Haare waren weich an seiner Wange. »Oh, Jon, es ist so entsetzlich!«
Er streichelte ihr über die Haare und besänftigte sie wie seine Tochter.
»Es hätte so leicht Gabby sein können«, sagte sie erstickt.
Er gab keine Antwort.
»Seltsam«, flüsterte sie nach einer Weile, »aber ich hatte heute morgen das Gefühl, daß irgend etwas nicht stimmt. Gabby war unten, wollte mir Tee machen, und ich bin aufgestanden, um nachzusehen, weshalb sie so lange braucht.« Fran stieß ein klägliches, müdes Lachen aus. »Sie hatte den Zucker verschüttet, und ich sollte das ja nicht merken. Kannst du dir vorstellen, daß sie mit einer Engelsgeduld jedes auch noch so kleine Krümelchen aufgefegt hat? - Um diese Zeit muß Annabel durch den Garten gekommen sein. Wollte sie zum Spielen abholen. Vielleicht ist sie zur Straße vorgegangen... niemand weiß es, niemand hat sie gesehen. Niemand, bis auf denjenigen, der sie mitgenommen hat. O Gott, wir haben Gabby und Annabel so oft davor gewarnt, hinauszugehen!«
»Wir könnten beide einen Drink gebrauchen«, schlug er vor.
»Ich hatte
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