Moon
Angst, damit anzufangen - hab' nicht gewußt, ob ich dann noch aufhören kann. Betrunken hätte ich Melanie keine große Hilfe sein können. Aber ich nehme an, jetzt ist das okay. Jetzt bist du da. Du hast immer recht gut darauf achtgegeben, daß mein Alkoholpegel nicht zu hoch steigt.«
Sie gingen ins Wohnzimmer, und sie hielten einander noch immer, als hätte sich überhaupt nichts geändert, als wären sie ein ganz normales Paar. Alles war Childes so angenehm vertraut, obwohl sich nach seinem Fortgehen mehr als genug fremde Möbelstücke angesammelt hatten - aber er hatte fünf Jahre lang in diesem Haus gelebt, und diese Zeit war schwer zu vergessen, auch wenn ihm alles wie in weite Ferne gerückt vorkam - als sei es nicht mehr Teil seiner selbst, seines Lebens.
»Du machst es dir bequem, und ich mache die Drinks«, bestimmte er. »Noch immer Gin und Tonic?«
Fran nickte. »Noch immer. Bitte einen großen.«
Sie sank auf das Sofa, schleuderte die Schuhe von den Füßen und zog die Beine an; und sie beobachtete ihn. »Jonathan, als du heute morgen angerufen hast, da hab' ich dir keine Gelegenheit gelassen, sonderlich viel zu sagen, aber... hinterher ist mir etwas aufgefallen. Du warst schon bestürzt, bevor ich etwas gesagt habe. Ich weiß nicht... es klang schon besorgt, wie du meinen Namen gesagt hast.«
»Willst du Eis?«
»Egal, Hauptsache, ich kriege den Drink. Warst du bestürzt, als du angerufen hast?«
Er schenkte ein und holte die Tonic-Flasche aus dem Spiegelfach. »Ich war der Meinung, Gabby sei etwas zugestoßen«, erwiderte er.
»Gabby? Aber warum - wie...?« Ihre Stimme versagte, und dann schloß sie die Augen. »O nein, nicht das!« murmelte sie leise.
Er brachte ihr den Gin Tonic, und sie ließ ihn nicht aus den Augen. Er reichte ihr das Glas. »Erzähl es mir«, bat sie.
Childes genehmigte sich selbst einen Scotch, kehrte wieder zum Sofa zurück und setzte sich dicht neben seine Frau. »Die Visionen kommen wieder.«
»Jon...«
»Heute morgen hatte ich das Gefühl, daß Gabby in Gefahr ist. Es war überwältigend stark.« Konnte er ihr schon sagen, daß er das mit Gabby gewußt hatte und daß er auch wußte, daß es irrtümlich Annabel erwischt hatte? Dieser andere, perverse Geist - der Geist dieser Kreatur, oder was es auch immer war - hatte ihn den ganzen Tag verhöhnt, hatte ihm kurze Einblicke in die langgedehnten Greueltaten genehmigt, hatte seinen Geist heimgesucht und ihn mit zwanghaften Visionen gepeinigt. Aber erstaunlicherweise hatte es Childes nach einiger Zeit gelernt, sich gegen die Geschichte zu behaupten; er hatte seinen Verstand abgeschüttet, denn ihm war klargeworden, daß das Schlimmste bereits geschehen war, daß Annabel diese Qualen nicht mehr spüren konnte. Sie hatte sie nur kurz ertragen müssen. Das zumindest mußte er Fran sagen.
»Aber es war nicht Gabby. Es war ihre Freundin... Annabel.« Seine Ex-Frau sagte es noch einmal, weil er nicht darauf geantwortet hatte.
Er zuckte leicht zusammen. »Ja. Irgendwie... hab' ich die Dinge wohl falsch in den Sinn bekommen.« Das war ganz die Art eines Feiglings, aber sie würde erst einen weiteren Schock verdauen müssen, bevor er ihr die ganze Wahrheit erzählen konnte. Langsam, sagte er sich. Es muß sein. Stück für Stück. »Fran, da gibt es noch etwas, was du wissen mußt.«
Sie trank einen großen Schluck von ihrem Gin-Tonic, wie um sich zu wappnen - ihr war nur zu gut bewußt, daß seine Intuitionen immer schlimm waren, nie gut. Sie wußte Bescheid, und sie sprach es für ihn aus. »Annabel ist tot, nicht wahr?«
Er vermied es, ihr in die Augen zu sehen, und er senkte den Kopf.
Frans Gesicht schien wie von riesigen Händen zerknittert zu werden. Ihre Hände zitterten und sie verschüttete etwas von ihrem Drink. Childes nahm ihr das Glas ab und stellte es auf das neben dem Sofa stehende Beistelltischchen. Er legte seinen Arm um Frans Schultern und zog sie an seine Brust.
»Es ist so scheußlich, so gemein!« stöhnte sie. »Oh, lieber Gott, was sollen wir Tony und Melanie erzählen? Wie können wir ihnen das überhaupt sagen?«
»Nein, Fran, nicht. Wir dürfen es ihnen nicht sagen. Das ist Sache der Polizei, wenn... wenn sie ihre Leiche gefunden haben.«
»Aber wie soll ich Melanie gegenübertreten, wie soll ich ihr helfen, wenn ich das weiß? Jon, bist du sicher, bist du absolut sicher?«
»Es ist wie früher.«
»Du hast dich nie geirrt.«
»Nein.«
Er fühlte, wie sie sich verkrampfte. »Warum hast du
Weitere Kostenlose Bücher