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Moon

Moon

Titel: Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herbert
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ganz fleckenlose, schwarz-weiße Pierrot-Puppe saß auf ihrem Bauch und war mit dem Rücken gegen ihre Oberschenkel gelehnt; die breite, gestärkte Halskrause umrahmte das glatte Puppengesicht mit dem traurigen Ausdruck. Unglücklich zupfte Jeanette an den Baumwollknöpfen, die die Jacke ihres kleinen Gefährten verzierten. Eigentlich hätte sie ja bei den anderen Mädchen ihrer Klasse draußen sein sollen, aber sie hatte sich davongeschlichen, da sie allein sein wollte. Ihre Eltern und Brüder und Schwestern waren alle gekommen, aber sie selbst hatte niemanden, und wenn sie bei den anderen gewesen wäre, dann hätte sie ihre eigenen Eltern nur noch mehr vermißt. Außerdem war sie nicht für die Tanzaufführung gewählt worden, und ganz bestimmt war auch ihre turnerische Leistung nicht gerade überragend; sie wußte, daß auf sie keine Belohnungen oder Urkunden warteten. Es war immer dasselbe.
    Obwohl, nein, einmal hatte sie ein Verdienstabzeichen bekommen: für Stickerei, aber das war nichts Weltbewegendes gewesen. Vielleicht war es ja - so gesehen - auch ganz in Ordnung, daß ihre Eltern nicht extra aus Südafrika hierhergeflogen waren... nur um mit ihr in den Sitzreihen zu hocken und zuzusehen, wie ihre Freundinnen die Preise einheimsten. Ihr Vater war so was wie ein Ingenieur - sie verstand bis heute nicht genau, was er denn nun eigentlich machte -, und er benutzte die Insel als Sprungbrett für seine vielen Reisen in andere Teile der Welt und zu anderen Jobs, und ihre Mutter begleitete ihn oft. Diesmal würden sie achtzehn Monate lang weg sein - achtzehn Monate! -, aber danach würde sie wenigstens zwei Monate bei ihnen sein können. Danach. Sobald das Sommersemester vorbei war. Sie vermißte sie ganz schrecklich, doch sie war sich nicht sicher, ob sie sie auch vermißten. Sie behaupteten es zwar, aber andererseits sah es überhaupt nicht danach aus, nicht wahr? Natürlich lieben wir dich, und wir vermissen dich auch, Schatz, aber es ist einfach nicht möglich, daß wir dich um die halbe Welt herum mitschleppen. Die Schule geht vor. Du darfst deine Ausbildung nicht vernachlässigen, Natürlich wollen wir dich bei uns haben, aber das Lernen geht wirklich vor. Jeanette ließ den Pierrot los, und er kippte zur Seite und schlug auf dem Boden auf. Sein jammervoller Gesichtsausdruck hatte dafür gesorgt, daß ihr jetzt endgültig elend zumute war.
    Für ein paar Minuten schloß sie die Augen und wandte das Gesicht der Decke zu. Den einzelnen Haarzopf, der ihrer Meinung nach genau wie der von Miss Sebire aussah, hatte sie auf dem Kissen ausgebreitet. Wenn sie hier im Zimmer erwischt wurde, dann gute Nacht; aber zum Glück waren alle Lehrer draußen vollauf damit beschäftigt, die schulgeldzahlenden Eltern ehrfürchtig durch die Schulräumlichkeiten zu schleusen. Sonst hätte sie es auch nie riskiert, hier heraufzukommen. Manchmal war sie ganz gern allein, auch wenn sie feststellen mußte, daß es dabei ein großes Problem gab: das Alleinsein machte ziemlich einsam.
    Jeanette seufzte und stellte sich vor, wie Kelly zuversichtlich nach vorne stolzierte, um ihre Beute in Empfang zu nehmen - sie war ein As im Unterricht, beste Noten in Mathe und Physik, Sonderauszeichnungen in Computerlehre und so weiter, und so weiter, und so weiter, und
    Jeanette wünschte sich, sie könnte so sein wie sie. Kelly war auch so hübsch. Es war falsch, eifersüchtig zu sein.
    Jeanette wußte das, aber manchmal, oh, manchmal, da wünschte sie sich wirklich, sie wäre wie ihre Klassenkameradin. Aber so würde sie nie sein können, und das mußte sie akzeptieren, und angeblich sollte ja auch jeder Mensch zumindest eine besondere Eigenschaft haben, etwas, das ihn so gut und interessant machte wie die anderen... Es war nur ein bißchen schwer, herauszufinden, welche besondere Eigenschaft sie hatte. Aber irgendwann würde sie zum Vorschein kommen. Vielleicht bald. Und wenn sie erst ihre Periode bekam... nun, vielleicht würden dann auch die Flecken verschwinden und ihre Brüste größer werden. Und dann würde sie auch nicht mehr so viel träumen - jedenfalls nicht mehr die ganze Zeit -, und bestimmt würde sie sogar noch wachsen und...
    - Und plötzlich bewegten sich die Mobiles.
    Natürlich waren an einem so strahlend schönen Tag alle Fenster der oberen Stockwerke geöffnet... und dementsprechend gab es auch einen Luftzug. Jeanette ärgerte sich über sich selbst. Die anderen Mädchen zogen sie oft damit auf, sie habe Angst vor dem eigenen

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