Moonlit Nights
fortzuführen, doch ich wusste, dass meine
Mutter mich so lange löchern würde, bis sie ihre Antworten hatte,
deshalb versuchte ich meine Beobachtungen so kurz wie möglich
zu schildern, in der Hoffnung, dass ich mich dann in mein
Zimmer verkrümeln könnte, um in Selbstmitleid zu zerfließen.
»Liam und Amilia kamen heute Morgen fix und fertig zum
Unterricht.«
Die Antwort war kurz und knapp, doch beinhaltete sie alle
Informationen, die nötig waren, um sich ein Bild von der Sache zu
machen. Den Teil, dass Liam bis jetzt morgens immer auf mich
gewartet und heute fast versetzt hatte, behielt ich lieber für mich.
Meine Mom musste schließlich nicht alles wissen.
»Ach Liebes …«. Meine Mutter streichelte mir zärtlich über die
Haare und lachte ein liebevolles, mütterliches Lachen, »wenn das
alles ist. Du weißt doch gar nicht, ob sie miteinander aus waren.
Und du kannst Liam nicht verdenken, dass er in seinem Alter
abends mal weggeht. Nicht jeder ist so eine langweilige
Couchkartoffel wie du!«
Ich wusste, dass es falsch war, meine Mutter einzuweihen. Sie
nahm mich nicht ernst, wie es normale Mütter taten, wenn sie sich
um ihre Kinder sorgten – so, wie es bei einem solchen Gespräch
hätte sein sollen. Nein, meine Mutter lachte mich aus. Gut, dass es
in unserem Haus keine Selbstmordgefährdeten gab. Ich war mir
sicher, meine Mutter würde ihr Nötigstes dazu tun, um die Leute
schneller dazu zu bringen, als es ihnen lieb war.
»Sprich Liam doch einfach mal darauf an. Ich bin sicher, es gibt
eine Erklärung dafür …«
Ich hatte genug von den neunmalklugen Ratschlägen meiner
Mutter. Ich zuckte mit den Schultern und ging aus der Küche.
»Versuchs einfach!«, rief sie mir hinterher, doch ich musste nicht
mehr antworten. Ich wusste, sie hatte gehört, dass ich schon längst
die Treppe hochgelaufen und nun auf Nimmerwiedersehen in
meinem Zimmer verschwunden war und nicht gestört werden
wollte. Zusätzlich bestätigte ich das mit einem lauten Zuschlagen
meiner Zimmertür.
Ich warf mich aufs Bett und stierte an die Decke, musterte die
kleinen Risse und versuchte sie zu zählen, doch immer, wenn ich
genau darauf starrte, um möglichst alles zu erkennen,
verschwamm mein Blick.
Ich nahm den Zauberwürfel, den ich zu meinem zehnten
Geburtstag geschenkt bekommen und zu meiner Schande immer
noch nicht gelöst hatte, von meinem Nachttisch und probierte zur
Ablenkung daran herum. Obwohl er laut Verpackung den
Schwierigkeitsgrad »Anfänger« hatte, war mir schleierhaft, wie
ich den Würfel so drehen sollte, dass auf allen sechs Seiten die
passenden Farben waren. Deprimiert legte ich ihn zurück auf den
Nachttisch.
Man sollte nicht meinen, dass eine fast 17-jährige nicht in der
Lage dazu war, ein Kinderrätsel zu lösen. Hmpf!
Es half alles nichts. Warum sollte ich mir noch weiter
vormachen, dass Liam nur ein guter Freund für mich war? Hatte
ich nicht schon bemerkt, dass da mehr war – zumindest von
meiner Seite aus – als er mich im Keller in seinen starken Armen
gehalten hatte? Ich den kurzen Moment, wo er es tat, genoss, und
eine entsetzliche Leere verspürte, als er mich wieder losließ?
Allein die Wärme seiner Haut mir Gänsehaut verursachte und
meine Knie weich wurden, wenn er mir mit seinem typischen
Blick tief in die Augen sah? Ich war hoffnungslos in ihn verliebt
und jetzt, wo Amilia sich meinen Liam unter ihre frisch
manikürten Nägel gerissen hatte, wurde mir dies schmerzlich
bewusst. Ich war aber auch so dämlich! Wäre ich nicht dermaßen
feige gewesen und hätte früher die Initiative ergriffen, wäre es
womöglich nie so weit gekommen. Nicht, dass ich mir einbilden
würde, dass Liam lieber mich gewählt hätte, aber vielleicht hätte
er mir das mit Amilia aus Höflichkeit wenigstens nicht
vorenthalten.
Nachdem ich mir das eingestanden hatte, fand ich, hatte ich ein
Recht zu wissen, was Liam gemacht hatte und vor allem mit wem.
Ich würde runtergehen und ihn einfach fragen. Meine Mutter hätte
es getan und in Anbetracht dessen, das sie schon grob auf die 50
zusteuerte und sie noch keiner aufgrund ihres vorlauten
Mundwerkes um die Ecke gebracht hatte, konnte ich das riskieren.
Warum sollte also ausgerechnet mich so ein Schicksal ereilen?
Mutig und voller Tatendrang sprang ich vom Bett, doch der
mittlerweile gewohnheitsmäßige Blick in den Spiegel erschreckte
mich. Ein Monster mit großen, rot–verquollenen Glupschaugen
beäugte mich
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