Moonlit Nights
sahen so müde
und leer aus. Wieder fragte ich mich, was Liam wohl die ganze
Nacht getrieben hatte. Zu meiner Überraschung schaute Liam
weder vorwurfsvoll noch böse.
»Sieht wohl so aus, als wäre ich eingeschlafen«, kicherte er
verlegen. Liam schien das Ganze eher zu belustigen, als dass er
sich ernsthaft Gedanken über seinen Klassenbucheintrag machte.
Vielleicht war er auch nur zu müde, um die ganze Situation zu
realisieren. Ich atmete tief ein und schaute wieder zur Tafel. Liam
hatte seinen Kopf immer noch zu mir gedreht und schien mich
neugierig zu mustern. Er überlegte wahrscheinlich, was soeben
passiert war, und warum ich ihn nicht vorgewarnt hatte, dass Mr
Graham gleich bei ihm stand. Aus den Augenwinkeln versuchte
ich zu erkennen, ob ich demnächst auf einer Amokliste stand,
doch auf Ermahnen von Mr Graham wandte Liam den Kopf in
seine Richtung und stützte ihn dabei auf seine Hände. Seine
warmen, weichen, starken Hände ... Ich seufzte bei diesen
Erinnerungen.
Ich hatte keine Lust, dem Unterricht zu folgen, also sah ich mich
in der Klasse um. Aufmerksam musterte ich meine Mitschüler. Da
fiel mir auf, dass nicht nur Kyle und Liam besonders
mitgenommen aussahen. Amilia saß ganz vorne, rechts vom
Lehrerpult, und hatte ebenfalls ihren hübschen, zierlichen Kopf
auf ihre Hände gestützt. Dank Ellen Beatrix sah man ihr die
Müdigkeit nicht so an, doch trotz Makeup konnte man immer
noch leichte Schatten unter ihren Augen erkennen. Ihre
goldblonden Locken hingen strähnig an ihrem Kopf herunter und
sie gähnte – wenn auch höflich mit davor gehaltener Hand –
ungefähr im Fünfminutentakt. Ging Amilia auch bereits aus? Sie
gehörte zwar ebenfalls zu der Coolen-Fraktion – jeder Junge, und
damit meine ich absolut jeden, ohne Ausnahme! – wollte etwas
von Amilia, doch ich hatte nie mitbekommen, dass sie mit Kyle
um die Häuser zog. Sicher, sie wären ein nettes Paar. Er dumm
und sie oberflächlich, doch es war mir einfach nie in den Sinn
gekommen, dass sich innerhalb unserer Klasse irgendwelche
Pärchen gebildet haben könnten.
Plötzlich fügte sich ein Puzzleteilchen nach dem anderen
zusammen. Die wunderschöne, begehrenswerte Amilia, der
atemberaubend attraktive Liam, beide gebeutelt von der letzten
Nacht. Ich sah es klar und deutlich vor mir: Amilia war
keineswegs mit Kyle ausgegangen. Ich war sooo blöd! Sie war
mit Liam – MEINEM Liam – unterwegs gewesen. Erneut
flammte die Eifersucht in mir auf und brannte wie ein loderndes
Buschfeuer. Unmöglich, dass irgendjemand in der Lage gewesen
wäre, es zu löschen. Ich starrte feindselig zu Amilia herüber, doch
die beachtete mich überhaupt nicht. Natürlich nicht! Ich war keine
Konkurrenz für sie. Wie eine gefräßige Ratte nagte diese
Erkenntnis an meinem ausgebrochenen Gefühlschaos.
Warum hatte ich das nicht mitbekommen? Wie konnte ich nur so
blind sein?
Mich einfach darauf zu verlassen, dass Liam kein Interesse an
Amilia haben würde. Pfff! Er wäre der Erste, und wenn ich
ehrlich zu mir selbst war, würde ich Amilia auch nicht von der
Bettkante schubsen, wenn ich ein Kerl wäre und Chancen bei ihr
hätte. Ich fragte mich, was mir sonst noch alles entgangen war,
während ich meine Nase in die Bücher gesteckt hatte.
Was konnte ich jetzt noch tun? Was hätte ich überhaupt tun
können? Mit Amilia konnte ich beim besten Willen nicht
konkurrieren. Sie war anmutig, bildschön und ihre Eltern waren
zu allem Überfluss auch noch steinreich. War es nicht so, dass
Männer ohnehin eher blonde Frauen bevorzugen? Was hatte ich
zu bieten? Meine braunen, langweiligen Schnittlauch-Spaghetti-
Haare? Meine bei Aufregung eiskalten Schweißhände? Oder
sollte ich mit meiner Mathe-Behinderung den Kampf gegen sie
aufnehmen? Es war aussichtslos ...
Ich schluckte schwer, doch der Kloß, der sich in meinem Hals
breitgemacht hatte, schien zähflüssiger als Karamell zu sein. Liam
blickte kurz zu mir herüber, doch ich starrte wieder an die Tafel
und kämpfte mit meinen Tränen. Blöde, gemeine Amilia. Reichte
es denn nicht, dass jeder Junge aus meiner Klasse sowie den
Klassen über und unter uns, sie vergötterte? Musste es
ausgerechnet Liam sein, den sie haben wollte?
Mr Graham rief mich auf und stellte mir eine Frage über den
Film. Geschichte war mein bestes Fach und den blöden Film hatte
ich auch schon mehrfach gesehen. Ich wusste sogar die Antwort,
doch ich konnte Mr Grahams Frage nicht
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